Das Venedig-Blog 2013

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Tag 4 :  Rastlos und unermüdlich – James Franco bringt nach Berlin und Cannes jetzt die Badlands Tennessees nach Venedig

Mit einer Adaption des Cormac McCarthy Romans „Child of God“ stellt James Franco in diesem Jahr nun schon seine dritte Regiearbeit auf einem Festival vor. Eine albtraumhafte und ekelerregende Charakterstudie des negrophilen Massemörders und ausgestoßenen Lester Ballards (Scott Haze), der in den Wäldern Tennessees wie ein wildes Tier lebt und herumstreift. Bindungen baut er nur zu überdimensionierten Plüschtieren und toten Frauen auf. Wo er vertrieben wird, rebelliert er zunächst lautstark, schleicht sich dann aber und sucht sich ein neues Jagdrevier. Ein verstörendes Bild mit viel Schnodder, Kautschukseiber und echtem Schiss eines zum Einsiedler gemachten Caveman, der weder Sozialverhalten noch Selbstkontrolle kennt und sich meist nimmt, was er will. Doch er ist „ein Kind Gottes, vielleicht wie Sie“, schreibt McCarthy in seinem Buch und ähnlich James Franco auf die Leinwand.

Außenseiter sind es, die James Franco besonders interessieren, die, die meist in eine Ecke voller Vorurteile gestellt werden und dort verrotten, bis sie niemand mehr sehen muss. Doch gerade diese komplett andere Lebenswelt macht für Franco, wie er sagt, den Reiz aus. In keinem Fall versteht er seinen Film als Milieustudie oder Feinanalyse amerikanischer Unterschichtenprobleme. Es ist wie bei Scorceses „Taxidriver„, erklärt Franco in der Pressekonferenz, auch Travis Bickle schaut man im Film fasziniert zu. Ähnlich sei es bei „Child of God„. Dennoch bleibt der Film eine Herausforderung, besonders weil die inszenierte Gewalt im Film oft zu ausgestellt wirkt, so, dass sie fast ins Lächerliche abdriftet. Doch die basiert allein auf Cormac McCarthys Romanvolage. Und wer bereits „No Country For Old Men“ gelesen oder gesehen hat, sollte wissen, worauf er sich einlässt.

Neben „Child of God“ präsentiert Franco übrigens gleich morgen seine Kurzgeschichtensammlung „Palo Alto Stories“  – verfilmt von der Enkelin Francis Ford Coppolas, Gia Coppola – und wird in der Dokumentation „A Fuller Life“ (Samantha Fuller) verfilmte Geschichte ihres Vaters Sam Fuller, zu sehen sein. Man kann es also fast in einer Formel sagen: 2013 + Filmfestivals = James Franco.

Nicolas Cage in David Gordon Greens "Joe", Foto: Filmfest Venedig

Tag 5: This is a man’s world

Kirchenglocken wecken die Stadt an diesem Sonntagmorgen. Und während die frommen Venezianer gebügelt die Kirchen stürmen und die Touris die Lagune zurückerobern, „are movies my religion“, um es mit Quentin Tarantino zu sagen. Vier Filme stehen heute auf der Liste, darunter der vielversprechende griechische Wettbewerbsbeitrag von Alexandros Avranas und der kanadische von Shootingstar Xavier Dolan, sowie zwei amerikanische Beiträge aus der Orizzonti-Sektion von Gia Coppola und John Krokidas.

Allmählich kristallisieren sich die ersten Themen heraus. Die 70. Filmfestspiele in Venedig sind vor allem eins: männlich. Immer wieder geht es um eine entfesselte Männlichkeit, um Männer, die zerstören und missbrauchen, diktieren und kontrollieren, verletzten und unbarmherzig regieren. Diktatorische, abusive und wütende Patriarchen, Väter, Ehemänner und Lehrer, unberechenbare Psychopathen oder homophobe Machos sind die Hauptfiguren in den Filmen. Ihnen gegenüber stehen zumeist tragische Frauenfiguren, Kinder und Teenager, die bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gezwungen werden zu gehen und nicht immer den männlichen Terror überleben. In den wenigen Filmen, in denen die Liebe herrscht, ist es oft die Liebe zwischen Männern, wie in „Gerontophilia„, „Kill your darlings„, „Palo Alto“ oder „Tom à la ferme„.

Zu den verstörendsten Beiträgen im Programm zählen sicher der griechische und der deutsche. Ähnlich dem 2009 in Cannes präsentierten „Dogtooth“ von Giorgos Lanthimos erzählt Alexandros Avranas eine Geschichte von Machtmissbrauch, Grenzüberschreitung, diktatorischer Kontrolle und zerstörerischer Männlichkeit, die einige der Unterdrückten nicht überleben. Aber im Gegensatz zu Philip Grönings Langzeitstudie des Verfalls einer Familie, rollt Avranas das Feld von hinten auf und beginnt mit der Katastrophe.

Die Amerikaner dagegen untersuchen männliche Gewalt eher im Genrefilm und konzentrieren sich stark auf Außenseiter und die ausgestellte Männlichkeit tumber Kautschuk kauender Südstaatler mit leichter oder stärker ausgeprägten psychopathischen Zügen und einer exzessiven Gewaltbereitschaft wie in David Gordon Greens „Joe“ oder James Francos „Child of God„. David Gordon Green, Regiepreisträger des Silbernen Bären 2013, wurde mit Spannung am Lido erwartet. Doch die in seinen neunen Film „Joe“ gesteckten Erwartungen wurden enttäuscht. Wieder spielt sich die Geschichte in den Südstaaten Amerikas ab, von denen offenbar in Zeiten der ökonomischen Krise, die stärkste Faszination ausgeht und die in gewisser Weise eine alte und raue Südstaatenromantik wieder aufleben lässt. Doch die steht im absoluten Kontrast beispielsweist zur Poesie des Sundancegewinners Beasts of the Southern Wild. David Gordon Green gibt sich zufrieden mit schablonenhaften Karikaturen, die ihre in Narben, Cowboystiefeln oder Tatowierungen zur Schau getragene Männlichkeit mit Fluppe im rechten Mundwinkel und der Knarre im Anschlag präsentieren. Trotz der leicht melancholischen und an der Welt schwer tragenden Züge seines Protagonisten Joe (Nicholas Cage) und dem herausragenden Laiendarsteller Gary Poulter bleibt der Film eindimensional und banal.

Und selbst in Filmen, deren Protagonisten in der Hauptsache weiblich sind, bleibt die zentrale Geschichte von Männern dominiert, wie im türkischen Festivalbeitrag der „Giornate degli Autori“-Sektion „Köksüz“ von Deniz Akcay. Ihre symbolische Abwesenheit stürzt nicht nur eine Familien, sondern eine ganze Generation ins Unglück.  „This is a man’s man’s world … lost in the wilderness, lost in the bitterness“ (James Brown)

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