10. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen

Beziehungsdramen am deutschen Kies-Strand


Der Rheinstrand beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen. Foto: Marie Ketzscher

Der Rheinstrand beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen. Foto: Marie Ketzscher

Ich kriege ein bisschen Halle-Feeling, als ich in Ludwigshafen aussteige – nix gegen Halle. Aber die weiten Freiflächen, die aussehen wie ehemalige, verwaiste Rummelplätze, erinnern mich nun mal eben an die sachsen-anhaltinische Großstadt. Ich begegne kaum einer Menschenseele auf meinem Weg ins Hotel – wo ist das Publikum, das Ludwigshafen zum angeblich begehrtesten Publikumsfestival-Standort macht? Es wird nicht besser in der Straße, die schlussendlich ins Hotel führt: Leerstehende Ladenflächen mit aufgebohrten Betonböden, ein Buchladen mit dem tristen Namen „Probuch“ – als sei in Ludwigshafen selbst das Öffnen eines Buchdeckels ein provokatives Statement –, ein Frisörladen mit zerknüllter Klarsichtfolie, Muscheln und Steinen im Schaufenster und ein Nagelstudio, das auf einen Pappdeckel gekritzelt „jetzt auch french!“ offeriert. Das Hotel erinnert mich an das Billigbustourendomizil Reha in Prag – alles wirkt vergilbt, die 90er-Jahre-Tastatur ist nikotingelb wie die Tapete unter ihrem zehnten Anstrich; es riecht gewesen. Die Pfälzer Weinberge antizipiert man hier jedenfalls nicht.

Auf der Rhein-Promenade dann das erste Festival-Publikum, ein älteres Pärchen mit guten Brillen; sie schicken mich in die richtige Richtung. Hinter dem neu entstehenden Riva-Care – identisch ausschauende Apartmentwürfel mit hohem Wohn-Komfort – endlich die Schneggenudelbrick und dahinter die sonnige Rhein-Insel mit den Festival-Zelt-Kinos, wo die Menschen wimmeln. Das ist plötzlich ein sehr anderes Deutschland, keine halbe Stunde entfernt. Es sind hauptsächlich ältere Intellektuellen-Paare, Großfamilien, Frauencliquen; das Durchschnittsalter bewegt sich um die 45. Es wird gediegen Hugo getrunken, der Wurstsalat quillt über die Tellerränder, das Kartoffelcurry dampft.

Im Kino wieder die neuen Bundesländer, es läuft: „Deutschboden„, ein Filmessay nach Moritz von Uslars gleichnamigen Bestseller mit dem Untertitel „Eine teilnehmende Beobachtung“. Wir hören Uslar selbst, wie er ausgewählte Passagen seines Buches spricht, wir sehen: trist-schönes Zehdenick nebst Brandenburger Umland, außerdem die Protagonisten Uslars beim Sodahinleben und Erzählen sowie Uslar selbst, wie er mit den Begegnungen seiner Quasireportage besonders prägnante Szenen nachspielt. Uslars markante Stimme verleiht den gesprochenen Sätzen eine passende Härte – die Gleichzeitigkeit vom irgendwie abgehängten Hartz IV-Alltag, Feierabendbieren und generellem Kleinstadtflair einfangend. Und doch: nach einer halben Stunde stellt sich Ermüdung ein.

Das, was so gut in der Literatur funktioniert, also die Mischung aus Kommentar und Reportage, will hier einfach zu keiner runden Form finden. Das Bild verlangt eben nach einer strengeren Form, nach einem Problem, das den Regisseur umtreibt. Warum waren die Jungs früher Nazis? Warum machen sie keine Fortbildungen, um von Hartz IV runterzukommen? Der Regisseur André Schäfer interessiert sich nicht für diese Fragen, er lässt die entsprechenden erklärungswürdigen Bemerkungen im Raum stehen, geht ihnen nirgends näher auf den Grund, filmt weiterhin Uslar ab. „Deutschboden“ wird dadurch zu einer beobachtenden teilnehmenden Beobachtung oder zum Film zum Buch, aber sicherlich nicht zu einem eigenständig überzeugenden Werk.

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