BFF on the Road: 64. San Sebastian Film Festival

Atlantikcharme und Monsterwelle


san_sebastian_2016Wer nach San Sebastian reist, sollte sich beim Wettercheck nicht in andere Länder verirren, denn der heilige Sebastian hat so manches Städtchen geweiht. Unter Umständen verlässt man sich dann nämlich bei hektisch arrangierter Recherche auf die Wetterkarten für Honduras, die wohlige Wärme versprechen, statt auf jene der Muschelbucht („La Concha“), die bereits auf die eher kühlen Sommer im Baskenland verwiesen hätten. Einmal nicht aufgepasst in der Wetter-App und schon steht die Autorin nackten Fußes im peitschenden Eisregen und in luftigem Jäckchen patschnass auf dem nördlichsten Flugplatz der iberischen Halbinsel. Der entsprechend unsachgemäße Kofferinhalt für die Reisezeit bleibt der Fantasie des Lesers überlassen.
Was für ein Auftakt zum 64. San Sebastian Film Festival. Dabei war es doch die Flucht nach vorn, in die zweite neben Breslau/Wrocław auserkorene Kulturhauptstadt 2016, die den Anreiz für die Festivalreise bot, um aus den durchwachsenen und inkonstanten Temperaturen des Berliner Sommers hinein in Sonne, Strand und Hochkultur zu stürmen. Perfektes Kinowetter also, das zu stundenlangem Herumsitzen in den Kinos einlud, ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, denn zugig blieb‘s in Donostia – die baskische Entsprechung für San Sebastian – der Hauptstadt der baskischen Gipuzkoaprovinz. Der Atlantik lockt hier viele durch seine spektakulären Wellen an und spült Surfer aus aller Welt ins malerische Städtchen, die sich ihr Leben und die horrenden Mietkosten gern von Touristen refinanzieren lassen. AirBnB sei Dank. Kunst und Kultur muss man allerdings auch im „Kulturhauptstadtjahr“ eher suchen. Doch in der Atmosphäre des Festivalausnahmezustands Mitte September fiel das kaum auf.

1953 gegründet, um den Film in der Stadt stärker zu promoten, gestattete die FIAPF (International federation of film producers association) der ursprünglichen Filmwoche schon binnen vier Jahren den Rang eines A-Filmfestivals zu, das bis heute zu einem wahren Publikumsmagneten heranwuchs. Während die Industrie abseits des Cineastentrubels an exklusiven Orten verhandelt, stauen sich vor den Kinosälen die Zuschauerschlangen. Die großen Multiplex- und die kleinen Programmkinosäle sind bis auf den letzten Platz besetzt und sobald der Trailer läuft, macht sich quirlige Euphorie und fast schon rituelles Treiben unter den Einheimischen breit, denn der Festivaltrailer wird jedes Mal von den Zuschauern durch exstatisches im Takt Klatschen begleitet. Vorfreude ist die schönste Freude.

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