Michael Dudok de Wit im Interview zu „Die rote Schildkröte“

de Wit: "Studio Ghibli ist etwas ganz anderes. Das ist so groß!"


In Cannes gefeiert: "Die rote Schildkröte" von Michael Dudok de Wit. Foto: Universum

In Cannes gefeiert: „Die rote Schildkröte“ von Michael Dudok de Wit. Foto: Universum

Den Oscar für den „Besten animierten Spielfilm“ sackte letztendlich Disneys „Zoomania“ ein. Bahnbrechender für das Genre und für die ganze Filmwelt war sicherlich „Die rote Schildkröte“ von Michael Dudok de Wit, der leer ausging. Das seit Jahrzehnten überaus erfolgreiche und mit Preisen hochdekorierte japanische Studio Ghibli produzierte nämlich mit eben jener Animation des Niederländers erstmals in seiner Geschichte außerhalb Japans – und beeindruckt mit dem sensiblen Werk, das ganz ohne Dialoge auskommt. Berliner Filmfestivals hat sich mit dem Regisseur unterhalten…

Herr de Wit, verbringen Sie lieber Zeit unter Menschen oder alleine?
Michael Dudok de Wit.Eine interessante Frage. Beziehen Sie sich damit auf das Thema des Films? Ich mag dieses Thema einer einsamen Person alleine auf einer tropischen Insel, seit meiner Kindheit. Vor allem während der Pubertät und in den Jahren als junger Erwachsener war es präsent. Ich fragte mich häufig: Wer wäre ich, wenn ich wirklich allein wäre? Wir messen uns selbst ständig mit anderen Menschen um uns herum, beobachten die und setzen uns mit ihnen in Verbindung. Diese Frage war sehr wichtig für mich. Selbst einsame Menschen brauchen Feedback – und sei es nur ein Augenkontakt beim Einkaufen.

Die Frage zielt auch auf Ihre Tätigkeiten als Illustrator und Animator…
Ich bin sehr gut darin allein zu sein, Bücher zu lesen, alleine zu reisen oder alleine zu spazieren. Aber ich bin eine soziale Person und bin gerne von Menschen umgeben. Ich mag beides. Bei diesem Film hatte ich zwei Möglichkeiten, ich hätte ihn alleine produzieren müssen oder mit Studio Ghibli.

Eine Zusammenarbeit mit Studio Ghibli ist doch eine einmalige Chance im Animationsfilm. Eigentlich ist die Chance sogar geringer, da Studio Ghibli vorher noch nie mit einem Nicht-Japaner kollaboriert hat.
Der Regisseur genießt große Freiheiten bei denen und ja das war das erste Mal, dass sie sich nach außen öffneten. Ich fühlte mich sofort wohl, mein erster Eindruck war, dass wir ein Haufen Freunde sind, die im selben Gebäude arbeiten und sich nach Feierabend auch noch treffen.

Anfangs unternimmt Ihr Protagonist alles, um wieder von dieser Insel weg zu kommen, aber der Film erlebt einen Wendepunkt, ab dem Moment, in dem er Gesellschaft hat. Von da an will er bleiben. Was passiert mit dem Gestrandeten?
Genau, sobald die Frau in sein Leben tritt, lässt er seine Vergangenheit zurück. Er will nicht mehr zurück, die Insel wird zu seiner Heimat.

Hochinteressant am Werk ist die Exposition: Der Zuschauer weiß nichts vom Helden, außer dass er auf einem Boot war…
Ja, das ist offensichtlich eine bewusste Entscheidung. Normalerweise erzeugt man durch seinen Hintergrund Empathie für die Figur. Ich mochte aber die Vorstellung, dass er für den Zuschauer ein unbeschriebenes Blatt ist. Wir wissen nichts über ihn. Wir lernen ihn im Moment kennen. Rückschlüsse erlauben nur sein Verhalten und vielleicht noch seine Kleidung oder seine Reaktion auf die Ereignisse.

Wieso spricht Ihr Protagonist nicht?
Ursprünglich hatten wir einige Dialoge im Buch, aber mich hat dann geärgert, dass er in dem Moment spricht, in dem er die Frau trifft. Da fragte er sie: Who are you? Und alle, die am Projekt beteiligt waren, erschraken und wunderten sich: Mein Gott, er spricht Englisch. Das transportierte schon zu viel Information über ihn. Wir spielten noch mit dem Gedanken, ihn eine fremde Sprache sprechen zu lassen, die keiner kennt, etwas wie baskisch. Aber sobald jemand spricht, fühlen wir mit der Person, auch wenn wir kein Wort verstehen. Da haben wir die Sprache rausgeschmissen.

Dafür spricht Ihr Film eine ganz eigene Sprache. Wie würden Sie diese beschreiben?
Die Filmsprache ist eine ganz eigene Sprache. Da geht es zum einen um Timing, den Sound, die Musik und das, was durch den Schnitt passiert… und zum anderen um das Schauspiel, das durch die Animation der Figuren entsteht. Animatoren drücken sich in Körpersprache aus.

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