Michael Dudok de Wit im Interview zu „Die rote Schildkröte“

de Wit: "Studio Ghibli ist etwas ganz anderes. Das ist so groß!"



Sehr interessant war der Einsatz der Musik, die dem Gestrandeten erlaubte, seine Emotionen auszudrücken…
Oft beschreibt Musik das, was du siehst und verstärkt es. Das kennen wir von Actionfilmen. Es gibt Musik, die ein Ambiente schafft und Musik, die uns erlaubt, Emotion zu interpretieren. Wenn er da entlang läuft, überlegen wir, ob er Frieden mit sich macht. Das ist keineswegs neu und passiert in vielen, vielen Filmen. In unserem Film diskutierten wir, wann wir Musik als Ambiente einsetzen und wann sie mit uns Rücksprache hält.

Können Sie das an einem Beispiel beschrieben?
Im Film gibt es einen Tsunami, der brauchte einen eigenen Sound. Unser Komponist schuf etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Er verwendete eine Frauenstimme, die die Melodien sang. Eigentlich war meine Ansage aber die, keine Stimme, keinen Gesang zu verwenden. Er überraschte mich. Das Besondere ist, dass die Sängerin auf ihr Ego verzichtet. Normalerweise hört man eine Stimme und verbindet sie mit einer Person oder einer Figur, bei dieser Frauenstimme war das anders. Das war riskant, funktioniert aber. Vielleicht ist das zu viel für einige, aber ich bin sehr glücklich über die Entscheidung. Jeder mochte ihre Stimme sehr. Er setzt die Stimme für diesen Tsunami ein, für etwas gewalttätiges, dabei ist die Stimme doch pure Schönheit. Für mich war das eine tolle Botschaft.

Zurück zur Zusammenarbeit mit Studio Ghibli: Was ist die größere Ehre: Ein Oscar oder mit Studio Ghibli arbeiten zu dürfen?
Das ist schwer zu vergleichen. Der Oscar ist riesig. Ich war natürlich sehr glücklich. Das soll nicht arrogant klingen: Ich bin stolz auf meine Arbeiten. Die sind gut, ich bin glücklich damit. Wer Film macht, will sein Publikum finden, also freue ich mich, wenn die Menschen meine Filme gut finden. So weiß ich, dass es für andere auch funktioniert. Das gibt dir dieses Minimum an Vertrauen, das du brauchst. Dann kam der Oscar und sehr viele Menschen mehr sahen den Film. Es war wie eine riesige Werbekampagne für den Film. Sie zollen dem Film so ihren Respekt. Meine Wahrnehmung ändert sich dadurch nicht. Da gibt es kein vor und nach dem Oscar. Viele Zuschauer kannten ihn vorher nicht und sahen ihn, weil er diesen Oscar gewonnen hat. So läuft das eben. Einige Bücher, die ich gelesen habe, las ich, weil sie einen wichtigen Preis gewonnen haben. Ich weiß also, wie sich das anfühlt.

Soweit zum Oscar, wie ordnen Sie Studio Ghibli ein?
Studio Ghibli ist etwas ganz anderes. Das ist so groß! Ich mag deren Filme wirklich sehr, sie inspirieren mich. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass das passiert. Sie sagten mir damals, dass sie meinen Kurzfilm mögen. Das war alles. Ich pflege seit langer Zeit eine Liebesaffäre mit Japan. Sicher gibt es auch hässliche Dinge in dem Land, aber auch einige gute, wie die Reinheit ihrer Kunst und das Verhältnis von deren Kunst zum Zen-Buddhismus, die Kunst und die Natur, die Kunst der Stille, aber auch verrückte Sachen wie „Chihiro“ oder „Akira„, der war nicht von dieser Welt.
Von einem auf den nächsten Tag mit diesen Leuten, die ich so sehr bewundere, zusammenzusitzen, mich mit denen auszutauschen, Hände zu schütteln und mit denen intimste Details des Films zu besprechen, das passierte plötzlich und einfach so. Drei Wochen vorher war ich in Tokio und wir gingen zwei Tage lang spazieren. Takahata, der Produzent des Films, der sich um die künstlerische Seite kümmerte, ein Übersetzer, meine Frau und ich spazierten durch unglaubliche Landschaften am Fuß eines Vulkans. Wir quatschten über Filme, verbrachten einfach Zeit miteinander. Das war der Anfang. Und sie waren gut für den Film! Die waren nicht nur nett, sondern machten Vorschläge, die in den Film fanden.

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