Bericht vom 14. XPOSED International Queer Film Festival in Berlin

XPOSED 2019: Intimität zulassen, Radikalität erleben



2. Ja, noch mehr Barbara Hammer
Experimentell und gänzlich unerwartet waren die sinnlichen und haptisch-fühlbaren Filme von Barbara Hammer, die am 16. März dieses Jahres verstorben ist. Keine Theoriekapseln zum Abheben, dafür ganz irdisch-erlebbare intime Essays, die das Begehren umkreisen. Lesbische Praxis. Für ihren ersten Langfilm „Nitrate Kisses“ von 1992 zeigt Barbara Hammer drei Paare (lesbisch, homosexuell und bdsm-lesbisch) beim Sex, dazwischen fügt sie Archivmaterial, das die Sichtbarkeit (meist negativ, Bezüge auf Sodom & Gomorrha) und Unsichtbarkeit (lesbische Ikonen wie Willa Cather – deren Biograf*innen ihre Homosexualität einfach nicht thematisierten) von Queerness und dazu Auszüge aus Gesprächen mit den Paaren. Die Sexszenen sind explizit und durch die respektvolle Kamera doch nie pornografisch. Was noch zusätzlich durch das Auslassen der dazugehörigen Tonebene verstärkt wird. Die lockere, oft wie hingeworfene, Montage changiert zwischen ernsthaft und lustig. Allein dieser Bruch mit der oft bleischweren Ernsthaftigkeit vieler Essayfilme ist eine Bereicherung für die Sehgewohnheiten. Hinzu kommen Gedanken, die nachhallen.

3. It’s the Community, stupid
Das XPOSED machte das Moviemento in vier Tagen nicht nur in den Kinosälen ganz zu seiner kuscheligen Couch – beide Kinosäle, aber auch Lounge- und Aufenthaltsbereich waren von einem ewigen positiven Festivalflirren geprägt, vielleicht eben von dieser Intimität, die auch viele Filme auszumachen schien. Der Community-Gedanke, der ja bei jedem Festival eine Rolle spielt, wurde hier besonders zelebriert: Viele Filmmacher*innen nutzten die Gelegenheit, bei den Q&As auf die Rolle des Festivals in ihrem Schaffen hinzuweisen, andere stellten die Verbindung unterschiedlicher Communities heraus. Darunter auch der Film „Dislocation Blues“ von Sky Hopinka. Hopinka kombiniert Interviewauszüge mit Cleo Keahna (trans-Aktivist) und Terry Running Wild (indigener Aktivist), die beide an den Protesten um die Dakota Access Pipeline beteiligt waren, mit Archivmaterial aus dem Standing Rock Camp. Für Cleo waren die Proteste eine Befreiung, eine Möglichkeit, endlich Cleo sein zu können. So verweist „Disclocation Blues“ nicht nur auf die Exklusion, die indigine und queere Menschen oft erleben, sondern zeigt auch auf, wie durch die solidarische Arbeit (ja, Intersektionalität) der Communities Widerstand geleistet werden kann – auch wenn die Pipeline, deren Bau durch die Proteste unter Obama gestoppt wurde, inzwischen in Betrieb ist. Insofern bietet das XPOSED eben nicht (nur) im positivsten Sinne insulare Qualitäten, sondern neue Perspektiven und Widerstandswerkzeuge für das laute Draußen der Mehrheitsgesellschaft.

Marie Ketzscher

Das 14. XPOSED International Queer Film Festival fand von 9. bis 12. Mai 2019 in Berlin statt.

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