BIFFF 2021: Fantastisches Kino online


Kinder und Frauen spielen in den südkoreanischen Beiträgen des Festivals eine wichtige Rolle. Gewalt, die Kindern widerfährt oder vielleicht auch von ihnen ausgeht, gilt im Horror- und Thrillerfach als Erfolgsrezept. Es kommen in den besprochenen Filmen auffällig viele Mädchen vor, die sich in den Filmen durchaus zu wehren wissen. Auch wenn die Frauen hinter der Kamera in der Minderheit sind, vor der Kamera nehmen sie ihren Platz ein. So wie im Thriller SHADOWS aus Hong Kong von Glenn Chan, der die Geschichte einer Psychologin mit besonderen Kräften erzählt. Die junge Frau kann die Traumata ihrer Patienten sehen, als sich vor ihren Augen abspielende Szenen. Die Grundidee des Films erinnert an eines der Meisterwerke von Johnnie To, MAD DETECTIVE, in dem ein „verrückter“ Detektiv die Seelen der Menschen sehen kann. Nicht ganz so schlüssig und souverän in der Form oder mit der perfekten Mischung aus Ernst und Komik kommt SHADOWS daher, doch bleibt es trotzdem eine beachtliche Leistung.

Aus Japan stammen zwei exzentrische Beiträge: BEYOND THE INFINITE TWO MINUTES von Junta Yamaguchi und EXTRO von Naoki Murahashi. Im ersten versucht sich eine Gruppe von exaltierter Freunde, man könnte sie auch etwas abschätzig Freaks nennen, die Gesetze der Physik zu überlisten. So richtig logisch wirkt die Handlung nie. Mit der Aneinanderreihung von Computerbildschirmen sollen sie immer weitere zwei Minuten in die Zukunft blicken können. Also bei zehn Bildschirmen, zwanzig Minuten und so weiter. Was sie damit anstellen können, scheint nicht unglaublich sinnvoll zu sein. Eine ähnlich sich mokierende Herangehensweise, die hier aber durch den feinen Komik funktioniert, wählt Murahashi in seinem fiktionalen Dokumentarfilm über Komparsen. Umso mehr sich der Filmemacher im Film bemüht, die Bedeutung dieser Akteure herauszustellen, desto weniger gelingt es in Wirklichkeit.

Eine neue Version von BATTLE ROYALE (Kinji Fukasaku), eine durchaus sehenswerte, wenn auch nicht gleichwertige, bietet SIGNAL 100 von Lisa Takeba. Die Schüler einer Klasse werden von ihrem Lehrer aus purer Bösartigkeit und missverstandener pädagogischer Ambition verflucht. Jeder, der die 100 Gebote übertritt, muss sterben. Doch leider kennen die Jugendlichen die Liste nicht und müssen sie mühsam zusammenstellen, anhand der jüngsten Opfer unter ihnen. Neben den eher banaleren Zeichen wie „kein Wasser trinken“ oder „das Schulgelände nicht verlassen“, zeichnen viele der Gebote Paradoxe und Tabus der japanischen Gesellschaft ab. So soll man nicht weinen, anderen keine Gewalt androhen, aber auch kein Mobiltelefon benutzen und auf keinen Fall sexuell erregt sein. Begeht man eine solche Sünde, wird man zum Selbstmord getrieben. In einem Land, das eine der höchsten Selbstmordraten der Welt hat, ist es auffällig wie oft das Thema im Film Einzug hält. Vermutlich dient es als eine Art Ventil.

Zwei weitere interessante Beiträge stammten aus dem spanischsprachigen Kulturkreis. THE WEASEL’S TALE des argentinischen Altmeister Juan José Campanella wartete mit herausragenden Schauspielern wie Oscar Martinez (DER NOBELPREISTRÄGER), Marcos Mundstock oder Graciela Borges und einer intelligent komponierten und amüsanten zynischen ersten Hälfte auf. Der aktionistische Teil der Handlung wirkt dann leider etwas uninspiriert und überflüßig. THE BARCELONA VAMPIRESS von Lluís Danés erzählt in poetisch-suggestiven Schwarz-Weiß-Bildern die Geschichte eines Rings an Kinderprostitution um 1912. Weil die darin verwickelten Personen aus Presse, Polizei und Politik stammen, war es einfacher die Entführung und den Tod von mehreren Kindern einer zufällig in die Ermittlungen hineingeratenen Frau anzudichten. Die Form des Films, die Elemente verschiedener Genres wie Stummfilm, Schwarz-Weiß- und Farbfilm beinhaltet, überzeugt etwas mehr als die Erzählung selbst. Trotzdem setzt sich das Werk mit allgemeingültigen und zeitlosen Themen wie der Stellung der Frau, Korruption und Manipulation durch die Presse auseinander, die einmal mehr Anstoss zum Nachdenken geben.

Aus einer anderen Ecke des Globus stammt ein ungewöhnlicher Film APORIA. Schauplatz des Zombie-Horrorfilms von Regisseur Rec Revan ist ein Wüstengebiet von Azerbaijan. Nur wenige Filme aus diesem Land kommen in die Kinoauswertung und noch seltener wohl einer dieses Genres. Gleich zu Beginn wird es barbarisch brutal, als ein junger Mann an zwei Wagen gebunden und in der Mitte auseinandergerissen wird. Er ist einer von vielen, die, auf mehreren Lastwagen zusammengepfercht, an ein unbekanntes Ziel transportiert werden. Als die Karawane hält, sollen alle erschossen werden, nur ein Paar kann sich retten, weil es unbeachtet in ein Erdloch springt. Doch da wieder rauszukommen, ist nicht einfach und während die Zeit vergeht, verändert sich die Persönlichkeiten des Mannes – ist er zum Zombie geworden? Medizinische Experimente, Vernichtungsgedanken gegen eine ganze Gruppe und Überlebenskampf auf engem Raum, das verbindet der Film auf spannende Weise.

Unbestritten ist das BIFFF ein Festival, das es lohnt, es auch nach Wiedereröffnung der Kinos und bei unkomplizierteren Reisebedingungen vor Ort zu besuchen. Nicht nur wegen des hilfsbereiten und sehr freundlichen Teams, das dahinter steht, sondern eben vor allem um Einblick in ein vielfältiges Genrefilmprogramm aus aller Welt zu bekommen. Den Fotos der letzten Jahre nach zu urteilen, hatte das Publikum sehr viel Spaß – in Brüssel findet offenbar während des Festivals eine Riesenhalloweenparty statt.

Teresa Vena

BIFFF, fand vom 6. bis 18. April 2021 online statt.

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