Festivalbericht vom 15. Litauisches Kino Goes Berlin


RENOVATION © Litauisches Filmfestival; Studio Uljana Kim
RENOVATION © Litauisches Filmfestival; Studio Uljana Kim

Litauen ist ein Land voller Traditionen… Die litauischen Bewohner:innen sprechen einer der ältesten indogermanischen Sprachen und sind eng mit der Natur verbunden. Die Nähe zur Gemeinschaft und Kultur spiegelte sich auch im diesjährigen litauischen Filmfestival Litauisches Kino goes Berlin (6. bis 9. November) wider: Litauische Landschaften und starke Familienstrukturen prägten das vielseitige Programm.
Das Filmfestival feierte mit der Sektion THE FIVE WAYS OF CELEBRATION sein 15. Jubiläum. In fünf Kurzfilmen feiern die Figuren auf unterschiedliche Weise überraschend lustig und skurril: So überfährt in THE NOMINEES eine betrunkene Frau einen Elch auf der Straße. In EXISTENCE verhalten sich Bewohner:innen eines Dorfes seltsam, während sie die Feste feiern, wie sie kommen. In LIMOUSINE funktioniert die Party mit allen Generationen. In THE FIRST SUNDAY AFTER THE FIRST FULL MOON besucht eine DJ ihre Familie an Ostern und muss sich deren toxischen Strukturen stellen. Wie es nach der Ausgelassenheit an Silvester weitergeht, verarbeitet ein Paar mit seinem Lover in HAPPY NEW YEAR!.

Radikaler Lebensabschnitt
In RENOVATION muss die 29-jährige Autorin Ilona (Zygimante Elena Jakstaite) wichtige Entscheidungen treffen. Sie ist mit ihrem Freund Matas (Šarūnas Zenkevičius) in eine gemeinsame Wohnung gezogen, dessen Fassade renoviert wird. Ilona richtet ihr Leben nach gesellschaftlichen Erwartungen aus – Heiraten und Kinderkriegen – und sie versucht ständig, es ihrer ständig nörgelnden Mutter recht zu machen. Das geht auf die Dauer nicht gut: Sie hat Probleme damit, den außenstehenden Druck standzuhalten und kann mit ihrem Freund ihre Probleme nicht anvertrauen. Der ukrainische Bauarbeiter Oleg (Roman Lutskyi) lenkt Ilona ab und sie entwickelt Gefühle für ihn.
In schönen, ruhigen, fast poetischen Bildern zeigt RENOVATION, was eine Frau im Alltag leisten muss, während der Partner arbeiten geht und die Familie sich in alles einmischt. Ilona ist kein Einzelfall, viele Frauen stehen unter diesen gesellschaftlichen Druck – aber muss die Frau immer allen gerecht werden? Ist das eigene Leben nicht wichtiger? RENOVATION greift genau diese Fragen auf und ist damit ein starker, bewegender Film mit einem emotionalen Abschied.

TASTY © Litauisches Filmfestival; Inscript
TASTY © Litauisches Filmfestival; Inscript

Frauenpower in Litauen
Eine Freundschaft zwischen zwei Frauen steht im Mittelpunkt von TASTY. Die befreundeten Kantinen-Köchinnen Ona (Elena Ozarinskaitė-Fromont) und Saulé (Agnieszka Rawdo) haben bereits einiges überstanden. Ona ist eine hervorragende Köchin, aber gleichzeitig alleinerziehende Mutter, weshalb sie in der Kantine arbeitet. Saulé unterstützt Ona, wo sie nur kann. Sie meldet sich und Ona heimlich bei einem Kochwettbewerb an – mit falschen Angaben. Dort müssen beide einige harte Prüfungen überstehen, die ihre Freundschaft auf die Probe stellt.
TASTY hat viele komische Momente, aber erweist sich zugleich als gefühlvoll ernst. Die Regisseurin Eglė Vertelytė zeigt zwei Frauen, die sich gegen die männliche Kochwelt behaupten – männliche Köche dominieren überwiegend in bekannten Fernsehshows. Ihre direkte Konkurrenz ist eine Frau, doch Männer sind es, die in der Aufnahmeleitung arbeiten und größtenteils in der Jury sitzen. Selbst der strenge Chef der Kantine hat das Sagen über Ona und Saulé. Die wunderlichen Figuren und ihre abstrusen Handlungen machen den Film sehr unterhaltsam.
Das traditionelle litauische Essen wird ebenfalls vorgestellt: So lernen Laien mehr über die Gerichte Cepalinai und Pilaf.

Mit Frauen geht es in den FEMALE SHOTS weiter, denn alle Kurzfilme wurden von Regisseurinnen realisiert. Die beeindruckendsten Filme aus der Reihe sind GLITTER KISS und SUJIP. In GLITTER KISS muss sich ein Mann um eine Dragqueen kümmern, die fast zu Tode verprügelt wurde. Er wird ungewollt ihr Notfallkontakt. SUJIP erzählt tragisch-komisch von einem Mann in der Telefonseelsorge, der den Main Character Pijus vor dem Selbstmord retten möchte.

GLITTER KISS © Litauisches Filmfestival; LMTA
GLITTER KISS © Litauisches Filmfestival; LMTA

Im Einklang mit der Stille
Eine symbiotische Harmonie zwischen Menschen und Natur: Dieses Zusammenspiel zeigt THE VISITOR. Der Familienvater Danielius (Darius Šilėnas) kehrt in seine Heimat zurück, um die Wohnung seiner verstorbenen Eltern zu vermieten. Dort ist er die meiste Zeit allein, trifft ab und zu auf alte Bekannte, aber in die Gemeinschaft kann er nicht mehr zurückfinden.
Viele lange Einstellungen verweilen auf Danielius und den Menschen, die in der Stadt leben. Die kleinen Dinge bekommen ihre Wichtigkeit zugeschrieben, wie Zusammenkünfte am Strand, Sportveranstaltungen und Märkte. Es entstehen komische Momente – zum Beispiel, wenn Menschen in einer Bar verharren und eine Lampe anschreien.
In THE VISITOR passiert nichts Außergewöhnliches, aber so ist das Leben ja oft – und dass er das gnz offen zeigt, macht ihn so besonders.