Hedonismus und Diktatur – Achtung Berlin Festivalbericht Teil 2


Ostdeutsche Provinz vs. Istanbul
Am Montag stand zur Prime Time das mit Spannung erwartete Doppel aus den Wettbewerbsbeiträgen „Gömböc“ und „Men On The Bridge“ im Babylon auf dem Programm. Im Kurzfilm „Gömböc“ begibt sich Regisseurin Ulrike Vahl, die an der HFF in Potsdam studiert, zurück in ihre Heimat in die mecklenburgische Provinz. Sie wirft einen unkommentierten aber intimen Blick in und zwischen die verwaisten Wohnblöcke samt ihrer Bewohner. Interessant dabei, dass sie für ihr Projekt Schauspieler mit „echten“ Bewohnern mixte, oder wie Vahl selbst sagt „Schauspieler in die reale Welt“ verpflanzte. Alles in allem eindrucksvolle Bilder, die eine Welt beschreiben, die vom Babylon und seinem Berlin-Mitte-Filmpublikum an diesem Abend Lichtjahre entfernt schien.

Nicht gerade Lichtjahre entfernt, aber doch ab und an fremd wirken die Türkei und ihre flirrende Metropole Istanbul, dem Schausplatz von Asli Özges Doku-Fiction „Men On The Bridge„. Özge zeigt drei Protagonisten, deren Leben sich um die Bosporus-Brücke dreht, die mitten in Istanbul Europa und Asien verbindet. Der beim Filmfest in Istanbul als „Bester Film“ ausgezeichnete Wettbewerbsbeitrag zu „Made in Berlin-Brandenburg“ überzeugte allerdings nur phasenweise. Die Vermischung von Quasi-Realität und Fiktion erscheint eher kontra-produktiv, da der fiktionale Anteil die Handlung nicht spürbar vorantreibt, so aber andererseits den dokumentarischen Blick verschwimmen lässt.

Transit

Der Festival-Dienstag wurde im Passage-Kino Neukölln durch die Doppelvorstellung „Did Michael Knight end the Cold War?“ von Stepán Altrichter und „Transit“ von Angela Zumpe eröffnet. Altrichters Kurzfilm über einen kleinen tschechischen Jungen, der mit Hilfe seines BMX-Fahrrads und angeregt von seiner Lieblingsserie „Knight Rider“ die Geschichte der damaligen ČSSR entscheidend verändert, überzeugte mit leisem Humor. Die Idee, einen unbedarften, vor allem aber unbeteiligten Helden ins Zentrum eines politischen Umsturzes zu stellen, in diesem Fall löst er die Revolution von 1989 in der ČSSR aus, ist allerdings nicht neu und erinnert in Zügen an Thomas Brussigs satirischen Schelmenroman „Helden wie wir“ aus dem Jahr 1995. Wie Brussig spielt Regisseur Altrichter mit dem Motiv des Zufalls, setzt die Erlebnisse seines tagträumenden Helden der realen Historie gegenüber und formuliert so einen persönlichen Beitrag zum politischen Geschehen dieser Zeit.

Im Dokumentarfilm „Transit“ begibt sich Regisseurin Angela Zumpe auf die Suche nach ihrem Bruder, der 1968 im Alter von 21 Jahren das konservative Elternhaus in Westdeutschland verließ, um in die DDR überzusiedeln. Nur acht Monate später tötete er sich selbst, ohne dass die näheren Umstände aufgeklärt wurden. Die Regisseurin begibt sich 40 Jahre nach dem Selbstmord auf Spurensuche und entdeckt auf ihrer Reise Biographien und Geschichten von Menschen, die wie ihr Bruder von West nach Ost wechselten. Hierin liegt auch die Kraft dieser Dokumentation, denn Angela Zumpe erfährt trotz intensiver Recherche nur wenig über die Umständen, die ihren Bruder in den Suizid führten. Dagegen offenbaren sich ihr persönliche Schicksale von Menschen, die freiwillig in die DDR übersiedelten, oder durch das repressive System der Staatssicherheit dazu gezwungen wurden. Aus dem persönlichen Porträt eines gescheiterten Jugendlichen entwickelt sich so langsam ein subjektives wie emotionales Dokument, das das Zeitgeschehen beider deutscher Saaten aufgreift.

Saturn Returns

Lior Shamriz´ Spielfilm „Saturn Returns“ eröffnet mit einer Szene, die wohlbekannt sein dürfte. Vor einem Fotoautomaten drängeln sich Menschen, um sich gemeinsam auf einem schlecht belichteten schwarzweiß Foto zu verewigen. In diesem Fall sind es die Amerikanerin Lucy und ihr Freund Derek. Beide stehen für die Anziehungskraft, die Berlin heute als Partymetropole, Künstlerhort und Spielplatz für Freigeister in der Welt auszeichnet. Die Freunde bewohnen eine runtergekommene Ladenwohnung in Kreuzberg, Lucy sieht sich als verkannte Schauspielerin, beide leben in den Tag hinein. Dann trifft Lucy auf die aus Israel stammende Galia, deren Leben bisher von den traditionellen Werten geprägt war. Es entwickelt sich eine Freundschaft und die unterschiedlichen Lebensentwürfe der jungen Frauen nähern sich langsam an. Bis zu diesem Punkt funktioniert Lior Shamriz´ Film, dem neben dem Zombiefilm „Rammbock“ von Marvin Kren der Preis für den „Besten Spielfilm“ verliehen wurde. Man spürt die Faszination und die Anziehungskraft, die Berlin auszustrahlen vermag. Seine Protagonisten zeichnet Shamriz mit entsprechender Hingabe und Feingefühl. Um so überraschender, geradezu gegensätzlich ist die zweite Hälfte geraten, als sich Lucys und Galias Lebensentwürfe kreuzen. Shamriz gibt die Zeichnung seiner Protagonisten zusehends auf, ersetzt sie durch melodramatische Momente und überfrachtet den inneren Konflikt der Frauen, die, jede für sich, nach einem Ausbruch aus ihrem Leben suchen, mit schablonenartigen Klischees. Shamriz hat scheinbar keine Antwort auf das, was auf den gelebten Hedonismus folgen soll (muss). Er treibt seine Protagonisten förmlich durch die Handlung, was dazu führt, dass es dem Zuschauer schließlich egal sein kann, was mit ihnen passiert. Um so überraschender fiel deshalb die Entscheidung der Spielfilm-Jury am Mittwoch Abend aus. Jury-Miglied Cynthia Beatt kommentierte auf der Preisverleihung die Entscheidung der Jury nur kurz: „ … es ist ein sehr seltsamer, mysteriöser und intensiver Film …“, und sagte damit letztlich ebenso wenig wie der Film selbst.

Die Preisverleihung

Um Impressionen und die Reaktionen der Gewinner einzufangen, waren wir mit der Kamera live vor Ort.

Die Gewinner in der Übersicht.

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Text: Denis Demmerle, Martin Daßinnies, Christian Körner
Video: Christian Körner