„Berberian Sound Studio“ von Peter Strickland


Eigentlich ist Gilderoy auf betuliche Tierdokumentationen spezialisiert. Foto: Viennale 2012

Eigentlich ist Gilderoy auf betuliche Tierdokumentationen spezialisiert. Foto: Viennale 2012

Akustische Nuancen des Blutrauschs

Das langstielige Messer sinkt tiefer ins Fleisch. Das Sterben hat begonnen. Nach ein paar entschiedenen Stichen legen die herrlich verschrobenen foley artists Massimo und Massimo die Messer weg und das zerhackte Fruchtfleisch der Wassermelonen bleibt obszön anklagend daneben liegen. Der Tonmeister Gilderoy (Toby Jones) ist sich nicht sicher, ob er diesen Job wirklich wollte. Vom italienischen Regisseur Santini angeheuert, um seinem Horrorfilm „The Equestrian Vortex“ zu einem unverwechselbaren Sound zu verhelfen, findet sich der Brite Gilderoy plötzlich in einem fremden Land wieder und einem anderen Genre gefangen – im „Berberian Sound Studio“ (GB, DE, AT, 2012) nämlich, das natürlich aber auch „Barbarian Sound Studio“ heißen könnte. In Peter Stricklands Indie-Publikumsliebling der diesjährigen Viennale wird der Tonmeister mit dem gänzlich Anderen, dem unvorstellbar Grausamen und Ekligen konfrontiert. Gilderoy – eigentlich auf betuliche Tierdokumentationen spezialisiert – muss plötzlich Todesschreie abmischen, blutige Verfolgungsjagden klanglich glaubhaft werden lassen und schließlich auch selbst als foley artist akustisch nachstellen, wie halbtote Nonnen zerhackt und lebende Nonnen mit glühenden Eisenstangen vergewaltigt werden.

In Stricklands Psychothriller oder auch visueller Klangcollage ist die Gewalt ein durchdringendes Geräusch, dem weder Gilderoy noch die Zuschauer jemals entweichen können. Sehen tut man die Gewalt nicht: Keine verkörnten unscharfen Bilder, die an italienische Horrorklassiker wie „Cannibal Holocaust“ gemahnen, keine weit aufgerissenen Münder. Stattdessen der Regisseur, Tonmeister und -assistenten sowie Synchronsprecherinnen. Stattdessen Gilderoys weit aufgerissene Augen und in ihnen eine Mischung aus Abscheu und kruder Faszination, als er auf die Leinwand blickt – auf uns, die wir wiederum ihn ansehen. Die Fremde umgibt Gilderoy nicht nur im Tonstudio. Die italienische Sprache, die Rezeptionistin, die sich weigert, ihm sein Flugticket zurück zu erstatten, die aggressive Sexualität, die Regisseur und Schauspielerinnen ausstrahlen. Einziger Rückzugsort ist seine Pension mit seinem alten Aufnahmegerät, dazu die Briefe seiner Mutter, die von dem kleinen Tonstudio(- schuppen) im Garten und den nistenden Vögeln berichten. Überspitzt formuliert ist also der Ekel vor dem Horror auch die Angst des kleinen, verklemmten Briten vor der impulsiv-leidenschaftlichen, italienischen Kultur und ihrer Vereinnahmung.

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