Berlinale-Filmkritik: „Narco Cultura“ von Shaul Schwarz


"Narco Cultura" hinterlässt den Zuschauer in doppelter Hinsicht ratlos. Foto: (c) Shaul Schwarz Reportage/Getty

"Narco Cultura" hinterlässt den Zuschauer in doppelter Hinsicht ratlos. Foto: (c) Shaul Schwarz Reportage/Getty

Moderne Heldensagen im mexikanischen Drogenkrieg

Die Zeiten, in denen Mexiko für Tequila, „La Cucaracha“, Sombreros und Schnurrbärte bekannt war, sind vorbei. Heute dominiert das Bild als mittelamerikanischer Riese die internationalen Medien. Drogen und Gewalt sind Mexikos bekannteste Exportgüter. Der gelernte Fotograf Shaul Schwarz hat sich der Thematik angenommen und legt mit „Narco Cultura“ sein Dokumentarfilm-Debüt vor. Er kann und will uns jedoch nicht über die Hintergründe dieses gleichsam absurden wie brutalen Drogenkrieges aufklären. Dafür würden die 100 Minuten des Filmes bestenfalls für die Einleitung ausreichen. Den in New York beheimateten Israeli interessiert etwas anderes: Er stellt die Rezeption des Krieges seiner Realität gegenüber.

Unbemerkt von den europäischen Gesellschaften hat sich im Südwesten der USA eine neue musikalische Subkultur entwickelt. Das Movimiento Alterado ist eine moderne Form der mexikanischen Volksmusik, in deren Liedern, den sogenannten Corridos, die Heldentaten der Drogendealer besungen werden. Gegen die Corridos ist selbst der härteste Gangsterrap nur Kindergarten. Die Lieder strotzen vor Brutalität, besingen echte Massaker und bekannte Drogenbosse – und kommen bei der Latino-Community der USA verdammt gut an. Die Stars der Szene füllen große Hallen. Shaul Schwarz porträtiert nun einen Sänger des Movimiento Alterado, begleitet ihn auf Konzerte, trifft dessen Familie und wohnt dessen Corrido-Text-Recherche auf Youtube bei. Für die jungen Latinos scheint der Drogenkrieg wie ein Sport, dessen größte Stars an der Brutalität gegenüber ihren Opfern gemessen werden.

Dem glorifizierten folgt das tatsächliche Bild des Drogenkrieges. Auf der anderen Seite der Grenze, im berühmt-berüchtigten Juárez, begleitete Schwarz Polizisten der Mordkommission bei der Arbeit. Obwohl die Behörde mit neuester Technik ausgestattet ist, wird schnell klar: Die Polizei in Juárez ist ein besserer Straßenräumdienst. Bei über 3000 Morden im Jahr sind echte Ermittlungen kaum möglich, zudem sind diese von der Politik oft nicht erwünscht. Schwarz zeigt eine Stadt in Angst, die Polizisten sind Freiwild. Zuletzt wurden vier Polizisten ermordet, der Behördenchef verschwindet nach Drohungen im Internet noch während der Dreharbeiten.

Narco Cultura“ hinterlässt den Zuschauer in doppelter Hinsicht ratlos. Wie ist es möglich, dass ein ganzes Land von einer derart unaufhaltsamen Welle der Gewalt heimgesucht wird? Und wie kommt es, dass Menschen die Mörder feiern wie Popstars? Besonders schockierend ist der kulturelle Austausch über Staatsgrenzen hinweg: Mexikanische Foltervideos werden auf Youtube mit US-amerikanischen Corridos unterlegt. Doch nicht nur inhaltlich verlangt Schwarz seinem Publikum einiges ab. Es wird deutlich, dass der Regisseur zugleich Fotograf ist. Wunderbare Einstellungen wechseln sich mit Bildern des Grauens ab. Die Kamera hält auch an Tatorten gnadenlos auf die Opfer, zart Besaitete dürften mit einigen Szenen zu kämpfen haben. Ein Effekt den Schwarz sicher begrüßen dürfte. Denn, dass der Zuschauer „Narco Cultura“ nach seinem Kinobesuch einfach ad acta legt, ist mit Sicherheit nicht in seinem Interesse.

Peter Correll

Mi 13.02. 15:30 Uhr Colosseum 1
So 17.02. 17:00 Uhr CineStar 7