„Death Row“ von Werner Herzog


Fotos: Werner Herzog Film GmbH

Fotos: Werner Herzog Film GmbH

Opfer und Täter

Fünf Menschen irgendwo zwischen Leben und Tod. Eingezwängt in eine Gefängniszelle. In einem tristen Klotz aus Beton. Fenster. Stacheldraht. Karge Wände und am des Ganges die unentrinnbare Gewissheit, in jeder Sekunde des verbleibenden Lebens der Hinrichtung durch eine Giftspritze entgegen zu sehen. Werner Herzogs neue Dokumentation ist ein Film über fünf Insassen von Todestrakten in den USA, „Death Row“ genannt. Ein Blick in ihre Geschichte, ihren Alltag, verknüpft mit Gesprächen der Angehörigen, Wegbegleitern, Staatsanwälten und Verteidigern.

Da ist Linda Carty, schwarz und zum Tode verurteilt, weil sie die 2-Jährige Joana Rodriguez ermordet haben soll, um deren Neugeborenes zu entführen. Da ist Hank Skinner. Ein ruheloser Charakter mit tiefen Augenrändern und fahler Haut. Skinner widerspricht bis heute dem richterlichen Urteil, schuldig am Mord seiner Freundin und deren zwei erwachsenen Söhne zu sein. Zum Zeitpunkt der Bluttat lag er angeblich zugedröhnt auf dem Sofa, unfähig einer Bewegung. Sein Leben in der Gefängniszelle ist geprägt von der Angst vor dem Tod durch eine Giftspritze. Und durch einen zynischen Blick auf seine Vergangenheit, die Zeit im Gefängnis und dem Erlebnis, schon einmal auf dem Weg in die Todeszelle gewesen zu sein. 35 Minuten vor seiner Hinrichtung wurde diese gestoppt, weil neue Beweise auftauchten. Da hatte Skinner schon seine letzte Mahlzeit zu sich genommen. In einer anderen Zelle sitzen George Rivas und Josep Garcia. Im Dezember 2000 unternahmen  sie mit fünf weiteren Insassen einen erfolgreichen Ausbruch aus einem Hochsicherheitsgefängnis in Texas. Rivas hätte 15 Mal lebenslänglich verbüßen müssen, Joseph Garcia waren 50 Jahre gewiss. Rivas hatte bei einem Überfall auf einen Supermarkt, der nach dem Ausbruch stattfand, einen Polizisten erschossen. Beiden droht nun die Tötung.

Wo liegt die Wahrheit in diesen Gesichtern, die Herzog ins Zentrum von „Death Row“ stellt? Was kann man diesen Menschen glauben? Was ist selbstgefällige Verteidigung, was ehrliches Eingeständnis? Es gibt sie nicht, die klaren Antworten. Denn was Werner Herzog in seinem 188 Minuten andauerndem Dokumentarfilm herausarbeitet, sind vor allem Geschichten von Menschen und keine Psychogramme, kein Urteil und keine penible Spurensuche nach den Motiven. Worauf es Herzog ankommt, ist das Selbstverständnis, mit dem ein Inhaftierter durch seine Verurteilung wahrgenommen wird und das Land, die USA, dessen fundamentalistisch-christliche Wurzeln sich nur bedingt in seinen Gerichten wiederfinden. Ihm geht es um die Sympathie, die sich einem fast unausweichlich aufdrängt, wenn etwa George Rivas freimütig zugibt, falsch gehandelt zu haben und dafür jede Sekunde seines restlichen Lebens zu bezahlen. In „Death Row“ bleiben die von Justiz und Gesellschaft definierten Opfer stumm. Das mag man Herzog vorwerfen wollen, doch „Death Row“ ist ein Film über das Weggeschlossensein, der das Signifikat der Begriffe  Opfer und Täter beleuchtet und sie in den individuellen Kontext einer Person rückt.

Getragen werden die Interviews, die Herzog mit den Gefangenen führt, von einem Monolog und einem Bekenntnis zur christlichen Tradition, den der Filmemacher jeder Episode voranstellt. Die Kamera blickt, bevor sie auf die Gefangenen trifft, auf eine Bibel. Herzog bekennt sich zu „einem anderen historischen Kontext„, aus dem er stammt, als dem US-amerikanischen. Einem, der die Todesstrafe elementar ablehnt. So sind seine Porträts weder mitfühlend noch parteiisch. Er lässt erzählen, gleichwohl er in seiner für ihn typischen Gesprächsführung aufmerkt, unterbricht und zurechtweist.

Martin Daßinnies