Fantasy Filmfest-Kritik: „The Aggression Scale“ von Steven C. Miller


"The Agression Scale": Ein stilles Kind legt Gangster um. Foto: Tiberius Film

"The Aggression Scale": Ein stilles Kind legt Gangster um. Foto: Tiberius Film

Rambo Book Club

Adoleszenz ist eine Gespensterwelt und die amerikanische Suburbia ist die entsprechende Kulisse für die Verwehungen in diesem Stadium der Selbstfindung. Teenager sind brutal, man weiß das. Ab einem gewissen Zeitpunkt zerfällt die Welt des Teenagers in ein Kaleidoskop aus redundanten Geschlechter- und Stilfragen, dem ohnmächtigen Gefühl der Kapitulation vor der Ignoranz der Anderen und ernsthaften Sorgen über erste sich abzeichnende biografische Brüche – seien es nun die eigenen oder die der Eltern. Eltern sind, neben manch anderem, ja auch einfach: Menschen, die man kaputtmachen darf, Kanonenfutter oder Wesen, die man aus parasitärer Berechnung nicht opfern kann, aber martern sollte. Diplomatisches Feingefühl ist dabei oft das einzige Werkzeug, dass einer Patchworkfamilie hilft, aus zwei gebrochenen Hälften ein in sich funktionierendes Ganzes zu machen.

Steven C. Miller begleitet in seinem Streifen „The Agression Scale“ zwei Patchworkarchetypen: ein Team (von Auftragskillern) und eine Familie (von  Verworfenen). Bill (Boyd Kestner) ist wahrscheinlich ein ehemaliger Gangster, der seine Berufung Maggie (Lisa Rotondi), einer Kellnerin, zu Liebe an den Nagel hängte. Beide bringen Kinder aus früheren Verbindungen mit – Owen (Ryan Hartwig) und Lauren (Fabianne Therese). Lauren ist ein sehr typisches Scheidungskind. Mit einer nicht untypischen Galligkeit versucht sie, ihren neuen Vater auf Distanz zu halten. Der wiederum wendet Trick 17 an und verpflichtet sie als Aufpasserin für ihren jüngeren Bruder Owen. Owen ist ruhig, sehr ruhig, beängstigend ruhig. Er ist belesen und verfügt über ein überdurchschnittliches kombinatorisches Geschick.

So beschäftigt ihn sein Vater in einer Einstellung mit einem Labyrinth-Rätsel. Einige Sekunden später kritzelt Owen die Lösung auf das Papier. Er gehört zu der Sorte Mensch, die man während der Schulzeit wahrscheinlich im Klassenraum, in der Turnhalle oder auf der Toilette einsperrt. Kleine, perverse Stänkereien eröffnen ihm dann ein Panoptikum der gesellschaftlich akzeptierten (und teils protegierten) Soziopathie. Dann wird der Moment kommen, wo diese Sorte Mensch scheinbar unberührt seinen Mitschülern mit einem Zirkel in den Arm sticht oder ins Auge. Das hängt von der Tagesverfassung ab. Gleichzeitig besitzt dieser Schlag Mensch einen ausgeprägten Instinkt. Owen schnürt seine Kampfstiefel in Größe 38 zu und sitzt geduldig auf seinem Bett. Es klingelt. Maggie öffnet die Tür und die Killer betreten das Haus.

Im Auftrag von Mr. Bellavance (Ray Wise) sollen sie das Geld eintreiben, das Bill ihm schuldet. Es ist dabei völlig egal, ob Bill das Geld herausrücken wird oder nicht. Die Familie wird hingerichtet werden. Lauren steht gerade unter der Dusche, als sie, von einem dumpfen Knall überrascht, zur Treppe läuft. Sie sieht die Killer und rennt zu ihrem Bruder Owen. „Owen please do something.“ Owen steht nun auf und er unternimmt etwas gegen die vier Männer. Als der Tonangebende (Dana Ashbrook) unter ihnen die aufgeschlitzten Handgelenke eines anderen begutachtet, wendet er einen Blick auf Owens Bücherregal: „Is that a fucking Rambo Book Club?“. Man weiß ja, wie viele einen Kampf gegen Rambo unbeschadet überstehen. Mit „The Agression Scale“ hat Steven C. Miller ein Refugium der Schadenfreude geschaffen, bei der man sehr oft und sehr laut auf den Vokal a lacht.

Joris J.

The Aggression Scale Regie: Steven C. Miller, Darsteller: Fabianne Therese, Ryan Hartwig, Dana Ashbrook, Derek Mears, Jacob Reynolds, Joseph McKelheer, Boyd Kestner, Lisa Rotondi, Ray Wise