22 BAHNEN von Mia Maariel Meyer


22 BAHNEN © Constantin Film Distribution / Gordon Timpen
22 BAHNEN © Constantin Film Distribution / Gordon Timpen

Sommerlich-seichte Sozialkritik

Exakt 22 Bahnen schwimmt Tilda (Luna Wedler) jeden Tag im örtlichen Freibad. Die durchgetaktete kurze Auszeit im Becken lässt die Mathematikstudentin für einen kurzen Moment nicht nur den stressigen Alltag zwischen Vorlesungen und Job an der Supermarktkasse vergessen, sondern auch den Grund dafür, dass sie immer noch in der Kleinstadt festhängt, während ihre Freund*innen nach dem Abi nach Berlin oder Amsterdam gezogen sind: Tildas Mutter Andrea (Laura Tonke) ist Alkoholikerin – und kümmert sich kaum um Tildas 10-jährige Halbschwester Ida (Zoë Baier, IN DIE SONNE SCHAUEN).

Als Tildas Professor ihr vorschlägt, sie für eine Promotionsstelle in Berlin zu empfehlen, gerät Tilda vollends in die Zwickmühle. Einerseits möchte sie Ida, für die sie seit Jahren Verantwortung übernimmt, nicht allein bei der Mutter zurücklassen, andererseits träumt sie schon lange von einem freieren und sorgloseren Leben in Berlin. Kann Tilda ihre jüngere Schwester für das zukünftige Zusammenleben mit ihrer unberechenbaren Mutter rüsten? Außerdem ist da noch Viktor, der wie Tilda immer genau 22 Bahnen krault – und mit dessen Bruder Ivan sie eine tragische Geschichte verbindet…

Regisseurin Mia Maariel Meyer, u. a. mehrfach ausgezeichnet für ihr beklemmendes Sozialdrama DIE SAAT (2021), verfilmt mit 22 BAHNEN den gleichnamigen Erfolgsroman der jungen Autorin Caroline Wahl, der 2023 erschien, u. a. zum Lieblingsbuch der Unabhängigen avancierte, sich 30 Wochen in den Top 20 der SPIEGEL-Bestsellerliste hielt und sich bis heute etwa eine Million Mal verkaufte. Dabei bleiben Drehbuchautorin Elena Hell und Meyer nah an der Romanvorlage und stellen die enge – und durchaus berührende – Beziehung der beiden Schwestern in den Vordergrund des solide und bildgewaltig inszenierten Coming-of-Age-Dramas.

Im Gegensatz zu ihrem Spielfilmdebüt TREPPE AUFWÄRTS (2015) oder DIE SAAT, deren eindrückliche Sozialkritik nachhallte, kommt Mia Maariel Meyers 22 BAHNEN angesichts der Schwere des Themas als eher leichtfüßig-seichte, fast märchenhafte Sommergeschichte voller wehmütig-atmosphärischer Freibadmomente daher. Wie schon in der literarischen Vorlage fehlt es auch den Figuren in der filmischen Adaption teils an Tiefe. So ist etwa Viktor, Tildas geheimnisumwobener Schwarm aus dem Sportbecken, zu blass und klischeehaft geraten. Das Zusammenspiel zwischen Luna Wedler und Jannis Niewöhner, die schon in Christian Schwochows Politdrama JE SUIS KARL (2021) gemeinsam die Hauptrollen übernahmen, funktioniert zwar, das Verhältnis ihrer Filmfiguren zueinander kratzt jedoch zu oft nur an der Oberfläche.

Schauspielerisch können die Darsteller*innen, allen voran European Shooting Star 2018 Luna Wedler (DAS SCHÖNSTE MÄDCHEN DER WELT) als kämpferisch-verletzbare Heldin Tilda und Laura Tonke (HEDI SCHNEIDER STECKT FEST) als überforderte alkoholkranke Mutter, dennoch überzeugen. Trotz der etwas zu glattgebügelten Abhandlung der komplexen Problematik gehören Alkoholabhängigkeit und deren Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die mit einem betroffenen Elternteil aufwachsen, als relevantes Gesellschaftsthema unbedingt auf die große Leinwand – und auch eine über weite Strecken recht sommerlich-gefällige Familiengeschichte kann für mehr Sichtbarkeit sorgen und Dialoge anstoßen.

Stefanie Borowsky

22 BAHNEN, Darsteller*innen: Luna Wedler, Jannis Niewöhner, Laura Tonke, Zoë Baier; Regie: Mia Maariel Meyer. Kinostart: 4. September 2025.