62. Nordische Filmtage: CHARTER von Amanda Kernell


Mit großer Sensibilität zeichnet Kernell das Porträt einer Frau, deren Wunsch nach Unabhängigkeit und Emanzipation für die Menschen in ihrer Umgebung in Konflikt zu ihrer Fähigkeit steht, sich um ihre Kinder kümmern zu können. Angesichts der Starrheit ihres Mannes, die vor allem von verletzter Eitelkeit genährt wird, steht für Alice fest, dass sie für das Wohl ihrer Kinder eine Entscheidung treffen muss. Ihre Situation erinnert an die Legende des Urteils von König Salomo. Die Mutter, die ihre Kinder wirklich und bedingungslos liebt, gibt sie zu deren Wohl auf.

Der Film setzt sich auf differenzierte Weise mit der Dynamik der Kleinfamilie auseinander, die das Grundmodell unserer heutigen Gesellschaft darstellt. Bei einer hohen Rate von Trennungen und Scheidungen sind es immer auch die Kinder, die leiden, wenn ihre Eltern streiten. Es besteht ein großes Risiko, dass sie von der einen oder anderen Partei instrumentalisiert werden, wenn auch nicht unbedingt freiwillig. Kernell zeigt, dass sich viele Dinge nicht immer mit Logik erklären lassen. Sie gibt auch den Gefühlen der Kinder viel Raum und legt ihre inneren Konflikte und Unsicherheiten offen. Sie wissen nicht, wem gegenüber sie loyal sein solle und oft übernehmen sie viel mehr Verantwortung, als sie sollten.

Neben der gelungenen thematischen Ebene des Films, die gekonnt alle Plattitüden vermeidet, fällt eine einheitliche Form auf, die sich durch eine dynamische Kameraführung, von Sophia Olsson, die abwechselnd sehr nahe bei den Protagonisten ist und ihnen gleichzeitig den benötigten Raum gibt, sowie eine dichte Inszenierung auszeichnet. Die Leistung der Schauspieler in CHARTER, angefangen bei Ane Dahl Trop als Alice, einer in der skandinavischen Film- und Fernsehproduktion viel beschäftigten norwegischen Schauspielerin, zeichnet sich durch große Komplexität aus. Aber es ist nicht nur Trop, die in ihrer Rolle die ganze Bandbreite zwischen Hoffnung, Zweifel, Wut und Trauer widerspiegelt, sondern es sind auch die beiden jungen Schauspieler Troy Lundkvist und Tintin Poggats Sarri, als ihre Kinder im Film, die eine beeindruckende Souveränität zeigen.

Teresa Vena

CHARTER, Regie: Amanda Kernell, Darsteller: Ane Dahl Torp, Sverrir Gudnason, Troy Lundkvist, Tintin Poggats Sarri, Johan Bäckström, Eva Melander, Siw Erixon

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