70. Berlinale: „DAU. Natascha“ von Ilya Khrzhanovskiy & Jekaterina Oertel



Zuerst einmal fällt auf, wie überschaubar das Projekt in seiner ersten filmischen Manifestation wirkt. Von dem angeblich 12.000 Quadratmeter umfassenden Filmset, an dem über die gesamte Drehzeit jeder siebte Bürger der Stadt Kharkiv tätig gewesen sein soll, sind hier lediglich einige kleine, aber pedantisch ausgestattete Spielorte zu sehen. Eine Kantine, ein Schlaf- und Badezimmer, ein Versuchslabor sowie ein Verhör- und Folterraum, die allesamt aussehen, als seien sie funktionstüchtige Reproduktionen der Lebens- und Arbeitsräume des Stalinismus aus den 50er Jahren. Außenaufnahmen werden nur vereinzelt verwendet. Der deutsche Kameramann Jürgen Jürges („Angst Essen Seele auf“, „Funny Games“) hat die Szenen mit zwei 35mm-Kameras eingefangen. Die Beleuchtung erscheint natürlich, die Darsteller agieren nicht gezielt für die Kameras, diese folgen ihnen vielmehr frei durch den Raum.

Wir sehen lange Filmsequenzen, in denen anscheinend triviale Handlungen des Rollenspiels mit dokumentarischer Nähe wiedergegeben werden: der geschäftige Betrieb in einer Kantine, mysteriöse Versuchsabläufe an Probanden in einem Labor, ein Saufgelage der Kellnerinnen Natasha (Natasha Berezhnaya) und Olga (Olga Shkabarnya) nach Feierabend im Lokal. Und einen realen Sexakt, bei dem Natasha mit dem französischen Wissenschaftler Luc (Luc Bigé) schläft. Es gibt keine durchstrukturierten Dialoge, alles wirkt improvisiert. Auch die Montage erscheint grob, offensichtliche Zeit- und Handlungssprünge inklusive. Vor allem die stillschweigende Akzeptanz der Kamera durch die Darsteller vermittelt nicht der Eindruck von Authentizität, sondern von einem artifiziellen Kunstprojekt.

Dann kommt die Szene, welche für Kritik sorgt. Natasha wird von einem KGB-Ermittler (Vladimir Azhippo) vernommen. Sie wird beschuldigt, mit dem ausländischen Forscher Luc geschlafen zu haben und mit brutalen Methoden verhört. Azhippo reißt ihr die Kleider vom Leib und zwingt die hilflose Frau dazu, eine Glasflasche in ihre Vagina einzuführen. Anschließend muss sie falsche Geständnisse niederschreiben und einwilligen, Luc als Spionin zu denunzieren. Natasha versucht zwar, sich verbal zu verteidigen, jedoch ist sie den sadistischen Machtspielen des Peinigers in dem karg eingerichteten Folterraum ausgeliefert.

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