71. Berlinale: SOUAD von Ayten Amin


SOUAD © VIVID REELS

Ein virtuelles Leben, das wir über Social Media führen können, ermöglicht es uns, in Welten abseits des Alltags zu schweben, Barrieren zu beseitigen, gegenüber Unbekannten mutiger zu handeln oder einfach nur von Dingen zu träumen, die abseits des Smartphones schwer zu realisieren sind. Die 19-jährige Medizin-Studentin Souad (Bassant Ahmed) schafft für sich selbst durch ihre Facebook- und Instagram-Aktivitäten ein Ausbrechen aus den strikten gesellschaftlichen Gepflogenheiten ihrer Umgebung. Für Handyaufnahmen posen, Tratsch mit Freundinnen, intime virtuelle Beziehungen zwischen der Kleinstadt Zagazig und der Metropole Alexandria, eine jüngere Schwester und der Ehrgeiz nach guten Noten prägen Souads Leben – bis ein veränderndes Ereignis eintritt und der Film eine plötzliche Wendung nimmt.

Regisseurin Ayten Amin erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die alltäglich und außergewöhnlich zugleich ist. Anfänglich wirkt Souad wie eine Ägypterin – von sicherlich vielen – der Generation Z, deren Leben sich zu einem wesentlichen Teil online abspielt. Nach Außen hin fügt sie sich den elterlichen Regeln, hinter der Fassade aber weiß sie ihre Freiheiten auszuleben. Mit dem Influencer Ahmed (Hussein Ghanem) aus Alexandria führt sie vertraute und intime Gespräche über einen Social Media Nachrichtendienst. Die Zärtlichkeiten können auch heimlich im Elternhaus ausgetauscht werden, es sind schließlich keine realen körperlichen Berührungen dabei. Vor einer echten Begegnung fürchtet sich Souad, den Trip nach Alexandria tritt sie nicht an – weil sie auf ihre guten Noten achten muss, sagt sie. Doch die Furcht davor, diesen Mann tatsächlich zu treffen, liegt nicht nur an ihrer Nervosität, sondern auch an den verinnerlichten Warnungen und Mahnungen ihrer Familie, den Umgang mit Männern betreffend.

Souad und ihre Freundinnen stehen stets unter Beobachtung der patriarchalen und religiösen Vorschriften der älteren Generation und sind dabei unterschiedlich rebellisch bzw. gehorsam unterwegs. Gegen Rauchen, Tanzen, das Tragen von Lippenstift und kurzer Kleidung predigt besonders die Tante, die den Mädchen am liebsten ihre Smartphones nehmen und sie zum ständigen Beten schicken würde. „Ich kann heute nicht beten, ich hab‘ meine Tage“, reden sich Souad und ihre Freundin Wessam (Hager Mahmoud) mit einem Grinsen gegenüber der religiöseren, öfters im Hijab sichtbaren Amira (Sarah Shedid) aus. Die jüngere Schwester Rabab (Basmala Elghaiesh) hört den Älteren gespannt zu. In Souads Zimmer und am Balkon spielt sich das ganze soziale Leben ab, denn hier sind die Freundinnen ungestört unter sich und haben gleichzeitig Kontakt zur digitalen Welt, in der sie auch mit Männern flirten und sinnlich tanzen. Hier liegt das Potenzial, Erfahrungen zu sammeln, auszubrechen, sich zu emanzipieren.

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