71. Berlinale: SOUAD von Ayten Amin


In SOUAD werden die digitalen Interaktionen nicht als Animationen oder ausgeklügelte Bildschirminszenierungen gezeigt, das würde zur Gesamtästhetik nicht passen. Denn Ayten Amin hat für ihren dritten Film einen durchwegs dokumentarischen Zugang gewählt: Daran schließen die Arbeit mit Laiendarsteller:innen und improvisierte Szenen innerhalb eines dramaturgisch lockeren Gerüsts an. Aus finanziellen Gründen erzwungene Pausen zwischen den Drehblocks ermöglichten es Amin, im Schneideraum stets neue erzählerische Fährten zu finden, neue Ideen zu entwickeln. Auch die beiden Hauptcharaktere erschuf die Regisseurin gemeinsam mit den Darstellerinnen – eine Arbeitsweise, die sich nicht zuletzt in den überzeugenden Performances niederschlägt. Amins Film gibt seinen Akteur:innen viel Raum und lässt jegliche dramatische Effekthascherei oder ästhetische Zierden aus. Der daraus resultierende rohe, dokumentarische Stil – eine oft verwackelte Kamera, entsättigte Farben – lässt uns den Figuren nahe fühlen.

Mit der Auswahl des Hauptsettings des Films, der ländlichen Region um die Stadt Zagazig im östlichen Nildelta, zentrierte Amin dezidiert einen Teil Ägyptens, der im Kino unterrepräsentiert ist, denn in den meisten Filmen seien nur Metropolen, allen voran Kairo, zu sehen, so die Regisseurin. Auch das Gefühl von Alltäglichkeit, das die Szenen vermitteln, der Mikrokosmos der jungen Frauen, der sie hin und her reißt zwischen zwei Welten, unterscheidet SOUAD vom Großteil der ägyptischen Produktionen.

Nach der ersten Hälfte der Erzählung und dem besagten Ereignis, reist die 13-jährige Rabab nach Alexandria, um Ahmed, den Influencer und Freund ihrer Schwester zu treffen. Neugierig einerseits, scheint sie andererseits auch Informationen von Ahmed erhalten zu wollen. Souad und er haben sich wohl gestritten, doch so ganz blickt Rabab in dieser Sache nicht durch. Das gemütliche Flanieren durch die Straßen wird bald begleitet von der Sorge, nicht rechtzeitig nachhause zu kommen. Den Vater anzulügen ist für Rabab die einzige Möglichkeit, sich die eigene Freiheit zu bewahren – nicht nur in diesem Szenario. Wie gut, dass die Elterngeneration keine Digital Natives sind.

Dass das Ausschmücken oder Erfinden der eigenen Lebensgeschichte in konsequenzfreien Situationen ebenso lustvoll sein kann, erfahren wir bereits zu Beginn des Films: Souad sitzt im öffentlichen Bus und berichtet ihrer Sitznachbarin von ihrem Freund in Alexandria, der beim Militär sei. Kurz darauf sitzt eine andere Passagierin neben ihr, der sie in verändertem Ton eine andere Lebens- und Beziehungsgeschichte erzählt. Was wahr und was falsch ist, lässt sich, nicht recht erahnen. Damit eröffnet die Erzählung gleich zu Beginn den Raum für die Doppelspiele, die sich im weiteren Verlauf fortspinnen – bis sich die Frage stellen lässt: Wer ist Souad wirklich? Mehr die analoge Souad oder die digitale? Wie würde sie ihr Leben befreit von den konservativen Regeln und patriarchalen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit leben? Soziale und gesellschaftliche Verhältnisse sind allerdings nie von einer Person getrennt zu betrachten – weder im Film noch in der Realität- deshalb können wir darüber letztendlich nur spekulieren. Der Raum zur Reflexion ist eröffnet.

Bianca Jasmina Rauch

Der Artikel ist zuerst bei Filmlöwin erschienen.

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