A DIFFERENT SUN von Reed Tang


Still aus A DIFFERENT SUN von Reed Tang ©Amazon Prime Video

Still aus A DIFFERENT SUN von Reed Tang ©Amazon Prime Video

Ein ungewohnter Blick auf Deutschland

Zu Qing (Chin Han) und Hong Yun (Jing Xu) ziehen mit ihrer Tochter Lily (Danni Wang) aus Shanghai in eine deutsche Kleinstadt. Qing hat einen Job in einer ansässigen Firma und Lily besucht die örtliche Grundschule, während Yun auf ihre Arbeitserlaubnis wartet und gezwungenermaßen Hausfrau ist. Der Film beginnt im Auto, die Familie ist auf dem Weg in ihr neues Heim und wird, dort angekommen, sogleich von Nachbarin Lora (Waltrudis Buck) begrüßt. Über die Hecke kündigt Lora an, später noch die Recyclinganweisungen vorbeizubringen und verabschiedet sich mit einem Kommentar zum guten Wetter. Yun kann nicht nachvollziehen, was an gleißendem Sonnenschein gut sein soll und auch Qings Erklärung, die Deutschen würden gern sonnenbaden, überzeugt sie wenig. Die Szene steht am Anfang einer Reihe von Momenten des Fremdseins, die die Familie mehr und mehr unter Druck setzt. A DIFFERENT SUN ist ein Familiendrama, dessen Konflikt sich zunächst aus den äußeren Umständen, der nur schwer verständlichen Kultur, mit der die Protagonisten konfrontiert wird, zu speisen scheint. Aber die deutsche Kleinstadt, das wird deutlich, fungiert lediglich als Katalysator für tieferliegende Spannungen und Machtgefälle innerhalb der Familie. Im Grunde erzählt der Film auch davon, wie unglücklich das Hausfrauendasein eine ganze Familie machen kann.

A DIFFERENT SUN ist der erste Spielfilm von Reed Tang, der für das Drehbuch Liu Yings gleichnamigem Roman adaptierte, Regie führte und außerdem an der Produktion beteiligt war. Gedreht wurde fast ausschließlich in den USA und die deutschen Figuren sind mit amerikanischen Schauspieler*innen besetzt. Unter den Darsteller*innen finden sich einige bekannte Namen, wie Chin Han, der in THE DARK KNIGHT (Christopher Nolan, UK/USA 2008) mitspielte, oder Ashley Gerasimovich, die unter anderem in WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN (Lynne Ramsay, UK/USA 2011) zu sehen war. Das Drehbuch ersetzt Deutsch durch Englisch. Das heißt, deutsche Figuren sprechen Englisch mit deutschem Akzent, was das Sehvergnügen erheblich stört. Muttersprachler*innen klagen hier natürlich auf hohem Niveau, aber der Akzent scheint auch den Schauspieler*innen, im Weg zu stehen und hält sie davon ab, Emotionen wirkungsvoll zu transportieren. Die Akzente sind wie ein Brennglas für eine Reihe deutscher Klischees, die dazu führen, dass Dialoge teilweise im Kommandoton gesprochen werden. Ein wenig mehr Vertrauen in das Publikum wäre hier wünschenswert gewesen. Beispiele wie INGLORIOUS BASTERDS (Quentin Tarantino, D/USA 2009) zeigen, dass selbst Mehrsprachigkeit ausgesprochen gut funktionieren kann und es gibt genügend Filme, die in einem Land spielen, dessen lokale Sprache nie gesprochen wird. Es wäre also keinesfalls problematisch, Deutsch durch Englisch zu ersetzen und die Akzente wegzulassen. „Suspension of disbelief“ also die Einwilligung des Publikums, sich einer Illusion hinzugeben und abwegige oder fantastische Elemente der Handlung zu akzeptieren, ist im Film gängige Praxis.

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