Berlinale Filmkritik: „Is the Man Who Is Tall Happy?“ von Michel Gondry


Auch ein geschätzter Filmemacher zweifelt im Angesicht eines gefeierten Theoretikers zuweilen an sich selbst. Foto: Partizan Films

Auch ein geschätzter Filmemacher zweifelt im Angesicht eines gefeierten Theoretikers zuweilen an sich selbst. Foto: Partizan Films

Das Bild macht die Erkenntnis

Michel Gondry ist nicht nur ein Poet der Popkultur, er ist auch gleichermaßen einer ihrer Konstrukteure. Gondry entwirft, baut und orchestriert Musikvideos, die ohne den Ton vollkommen verloren wären und experimentiert dabei mit Jump-Cuts, Stop-Motion, Animation und Doppellayern. Der Rhythmus choreografiert das Bild, während die in Mosaiksteinchen aufgespaltene Zeit immer wieder nach Synchronisation verlangt. Ein paar Beispiele gefällig? Man denke an „The Hardest Button to Button“ oder „Fell in Love With a Girl“ von den White Stripes. Oder an „Around the World“ von Daft Punk. Oder an „Come Into My World“ von Kylie Minogue.

Den Kontrapunkt zur strengen Montage-Akribie setzt Gondry durch Fantasie, Verspieltheit und eine nie aufgegebene Kindlichkeit. „I’ve been twelve forever“, sagt der Filmemacher über sich selbst, dessen Freude am bildsprachlichen Infantilismus sich auch durch Langspielfilme wie „Be Kind Rewind“ oder „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ zieht. In „Is the Man Who Is Tall Happy?“ sitzt er nun einem Mann gegenüber, der seine Kindheit schon lange hinter sich gelassen hat: Noam Chomsky, geboren 1928. Linguist, Aktivist, Philosoph und ein öffentlich hochgeachteter Träger diverser akademischer Ehrungen.

Was im diesjährigen Berlinale-Programm als Dokumentarfilm angeboten wird, ist im eigentlichen Sinne mehr ein Interview, bei dem Gondry nicht verschleiert, dass auch ein geschätzter Filmemacher im Angesicht eines gefeierten Theoretikers zuweilen an sich selbst zweifelt. „Mein Englisch ist so beschissen“ oder „Ich fühlte mich manchmal ziemlich dumm“, schreibt Gondry in sein aus dem Off vorgetragenes Produktionstagebuch. Chomsky, der nachsichtig die intellektuelle Kluft zwischen ihm und seinen Zuhörern gewohnt ist, philosophiert derweil über Ähnlichkeit und Differenz. Wenn man von einem Baum einen Ast abhackt, den in die Erde pflanzt und daraus ein optisch identischer Baum wächst – ist das immer noch derselbe Baum? Und wie gelingt Kindern, die Tiere zunächst nur durch schematisch vereinfachte Illustrationen aus Büchern kennen, der spontane Erkenntnistransfer bei der Betrachtung echter Lebewesen?

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