Dok.fest München: „The Letter“ von Maia Lekow und Christopher King



Was sich nun als Scherz eines Schelms anhört, ist offenbar sehr ernst gemeint. Karisas Großmutter ist nämlich nicht die erste ältere Frau, die so einen Drohbrief erhalten hat. Diese Briefe sind geradezu in Serie im Umlauf in der Region. Meistens beantragt irgendein Familienmitglied eine Bande damit. Bei einer Drohung bleibt es nicht. Bei Karisas Nachforschungen zeigt sich, dass tatsächlich viele ältere Menschen auf diese Weise ermordet worden sind, andere konnten vor den Angriffen fliehen und fanden Zuflucht bei anderen Betroffenen. Versteckt im Umland hat sich ein kleines Dorf der verstoßenen Alten gebildet. Sensibel aufgenommen, führt der Film an die verhärmten Gesichter der Männer und Frauen heran, die von ihren Erlebnissen berichten. Alles sind Eltern und Großeltern, die von einem Moment zum anderen bei ihren Angehörigen in Ungnade gefallen sind.

Die Anschuldigung der Hexerei dient, wie sich bald herausstellt, alleinig als Vorwand, um sich der älteren Generation zu entledigen. Es sind Ansprüche auf das Land und Gut der Großeltern und Eltern, die als wahre Motivation für solch ein Vorgehen gelten. Der Ernst der Lage erschleicht den Zuschauer nur langsam. Dies hat vermutlich auch damit zu tun, dass sowohl Karisa als auch seine Großmutter einen bemerkenswert gelassenen und ausgeglichenen Charakter zeigen. Mit ihrem Dokumentarfilm haben sich die Autoren an Themen herangewagt, die der Mehrheit eines westlichen Publikum sehr fremd sein werden. Trotzdem haben sie es geschafft, einen ehrlichen Einblick in eine ganz andere Kultur zu geben.

Teresa Vena

The Letter„, Regie: Maia Lekow und Christopher King

Noch bis zum 24. Mai beim Dok.fest München at home zu sehen.

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