Dok.fest München: „The Letter“ von Maia Lekow und Christopher King


Karisa und seine Großmutter müssen sich mit den Folgen eines Briefs auseinandersetzen. Foto: Circle & Square Productions

Alte Hexen und Hexer

Um der aktuellen Corona-Krisen-Situation etwas entgegenzusetzen, hat das Dok.fest München den Sprung ins Internet gewagt. Auch wenn keiner das Erlebnis eines physisch-real existierenden Festivals in Zukunft missen möchte, bietet das Programm in seiner Vielfalt und hohen Qualität eine aktuelle Alternative. Bis zum 24. Mai 2020 sind 121 Filme zu sehen, die einzeln oder mit einer Dauerkarte gebucht werden können.

In der Sektion „Horizonte“ des Festivals feiert der Dokumentarfilm „The Letter“ von Maia Lekow und Christopher King seine Deutschlandpremiere. Was wie die Erzählung eines Märchens anmutet, wandelt sich immer mehr in eine Horrorgeschichte um. Dabei verzichten die Autoren gänzlich auf eine Manipulation des Zuschauers durch formale Mittel, wie eine besonders suggestive untermalende Musik oder etwa einer nervösen Handkamera. Sie vertrauen der außergewöhnlichen Geschichte und ihren Protagonisten. Man könnte sagen, dass es genau, die diskrete Annäherung, der beobachtende und nicht wertende Blick sind, die „The Letter“ derart eindrücklich machen.

Alles beginnt damit, dass der junge Student Karisa aus Kenia auf den sozialen Netzwerken eine sonderbare Nachricht liest. Seine Großmutter wird darin beschuldigt, eine Hexe zu sein und die weiteren Familienmitglieder zu verfluchen, so dass sie nur noch Pech haben. Karisa entscheidet sich, von der größeren Stadt, in der er wohnt, ins Dorf der Familie zurückzukehren und den Beschimpfungen sowie dem Streit auf den Grund zu gehen. Er erfährt vor Ort erstaunt, dass es bei diesem Kommentar online nicht geblieben ist, sondern die Großmutter einen handschriftlichen Brief erhalten habe, der sie unverblümt um Leid und Leben bedroht. Wenn sie nicht zugibt, eine Hexe zu sein und alle verflucht zu haben, käme man bald vorbei und verhake sie mit einer Machete. Noch besser wäre es, sie verschwinde ganz aus dem Dorf.

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