„Dr. Ketel – Der Schatten von Neukölln“ von Linus de Paoli


Dr. Ketel - Ein Mann arbeitet im Untergrund, Foto: Achtung Berlin

Dr. Ketel - Ein Mann arbeitet im Untergrund, Foto: Achtung Berlin

Arzt ohne Lizenz

Eine grauenhaft anzuschauende Leiche leitet eine Mordserie ein, bei dessen Ermittlungen die ermittlende Kommissarin (alleinerziehende Mutter) in tödliche Gefahr oder wenigstens in andere Umstände gerät. Ungefähr so gestaltet sich der dramaturgische Aufbau gefühlter 90 Prozent aller (Vor)Abendkrimis deutscher Prägung. Es sind Wohlfühlverbrechen, bei denen es weniger um den Aufbau von Spannung als um die Bewältigung des Alltags geht – vor der Glotze und in der Glotze. Als man Mitte der 1980er Jahre damit begann, das Kontingent neuer Krimiserien zu erhöhen und die Folgenzahl pro Jahr bereits etablierter Serien hochschraubte, war die Sicherheit gegeben, dass Krimis zu den Sendeformaten gehören, die die für die Sendeanstalten (viel zu) relevanten drei R´s erfüllen: Reichweite, Reputation, Repertoirefähigkeit. Wegen der Komplexität und unterstellten Abstraktionsfähigkeit, die der geneigte Zuschauer mitbringen müsste, gilt jedoch das Thema Wirtschaftskriminalität als wenig quotenfördend und ist somit weitestgehend uninteressant. Wenn man sich dennoch daran wagen sollte, setzt das ein spannendes, sorgfältig durchdachtes Drehbuch voraus. Ein Gespür für Stereotypen mit einer gewissen Sprengkraft schadet dabei ebenso wenig, wie das Streichen unnötiger Liebeleien.

Linus de Paoli, der 28jährige Absolvent der Deutschen Film-und Fernsehakademie Berlin und Regisseur von „Dr.Ketel“ besitzt weder das Eine, noch macht er das Andere. Darüber kann auch „Honey Bunny“ Amanada Plummer nicht hinwegtäuschen. „Ich habe versucht die Stadt extremer zu zeigen, als sie wirklich ist – düsterer, dreckig und bedrückend.“ Natürlich will er das erreichen, in dem er „Dr.Ketel“ in schwarz-weiß präsentiert, dabei wäre er mit Marzahn (gerne auch in Farbe) als Ort des Geschehens besser beraten gewesen als mit dem mittlerweile zu stark gentrifizierten Neukölln. Schließlich handelt sein Film von einem kollabierten Gesundheitssystem, einem Arzt ohne Lizenz und desolaten Zuständen, an denen, wie könnte es anders sein, der amerikanische Geheimdienst eine Mitschuld trägt. Das Surrogat des Ganzen ist Aufstandskitsch. Eigentlich müsste Dr.Ketel eine Baskenmütze tragen, Gauloises rauchen und mit einem Existentialisten-Rollpullover bekleidet okzitantischen Rotwein schlürfen. Das wäre ein bisschen Sympathie hebend, doch Ketel Weber ist in seiner Rolle erstaunlich blass. Überhaupt nicht angeekelt von Überlegungen ob Auf/Widerstand etwas Fortschrittliches sein kann, versagt Linus de Paoli in seiner Schilderung einer sozialen Dystopie, wie Tim Fehlbaum mit seiner Schilderung einer ökologischen Katastrophe „Hell“ scheiterte.

Dieses Amalgam aus politisch korrekten, doof-naiven Szenen, einem scheinbar aus einem Lehrbuch für Gesinnungsethik entsprungenen Drehbuch, in der sich die Handelnden ihrer gegenseitigen Wertschätzung versichern und über Verantwortungsbewusstsein dozieren, ist in seiner Publikums- und Intellektverachtung herausragend.

Joris J.

Dr. Ketel – Der Schatten von Neukölln
Regie: Linus de Paoli, Darsteller: Ketel Weber, Amanda Plummer, Burak Yigit, Pit Bukowski, Franziska Rummel, Lou Castel, Kinostart 22. August.2013