IM OSTEN WAS NEUES von Loraine Blumenthal


Trainer "Eichi" in IM OSTEN WAS NEUES © Christian Trieloff
Trainer „Eichi“ in IM OSTEN WAS NEUES © Christian Trieloff

Der Rasen und die Wirklichkeit

Thomas „Eichi“ Eichstätt trainiert den FC Pio in Torgelow. Er ist Ansprechpartner, Motivator und für viele der Jungs eine Art Vaterfigur. Die wenigsten kennen Eichis Vergangenheit. Der große, kräftige, tätowierte Mann mit der Glatze über dem freundlichen, zugewandten Gesicht war vor 20 Jahren ein rechtsradikaler Schläger, der Ausländer hasste und Linke jagte. Die Schützlinge, die er heute mit großem Engagement trainiert, sind allesamt Flüchtlinge. Eichi hat sich von seinem früheren Ich gelöst, doch die Geister von damals verfolgen ihn bis heute.

Mit seiner Frau Anja und den fünf Kindern lebt er, wie die meisten in Torgelow, in einer Platte in prekärer Situation. Den Fußballverein wie den örtlichen Jugendclub leitet er ehrenamtlich. Für seine Bezahlung fehlt der Stadt das Geld. Nicht mal eine halbe Stelle oder wenigstens einen Minijob kann Torgelow ihm anbieten. Bonjour Tristesse.

Loraine Blumenthal hat ihren bewegenden Dokumentarfilm IM OSTEN WAS NEUES genannt und einen ehemaligen Rechtsradikalen, der junge Flüchtlinge trainiert und diese, wie er später sagt, ins Herz geschlossen hat, ist allemal ein beeindruckendes Thema. Die Trostlosigkeit, die ihr Film von diesem Landstrich im Osten Mecklenburg-Vorpommerns vermittelt, ist gleichwohl erschütternd. Alle bemühen sich hier, irgendwie durchzukommen – Deutsche wie Ausländer. Nicht ein echter Nazi hat einen Auftritt. Es gibt sie noch, die guten Menschen – auch im Osten. Leicht wird es ihnen gleichwohl nicht gemacht. Weder von der Politik, noch von der Wirtschaft. Und leicht machen sie es sich auch selbst nicht.

Da ist z.B. Asad, ein junger Tschetschene, der während des Films seinen 18. Geburtstag feiert. Asad ist ein typischer Jugendlicher: smart, aber orientierungslos. Er ist interessiert, möchte alles wissen, aber die Schule schmeißt er hin. Ein Abschluss bleibt ihm verwehrt, da er die Prüfungen verpasst hat und auf über 250 Fehlstunden kommt. Unter diesen Bedingungen gestaltet sich auch die Jobsuche suboptimal. Der sympathische junge Mann hat viel Potential, das unter den Verhältnissen, in denen er lebt, verpufft.

Thomas Bundu, ein junger Muslim aus Sierra Leone, der schon seit einigen Jahren in Deutschland lebt, muss permanent mit seiner Abschiebung rechnen, ist nur geduldet. Für Bundu ist Eichi ein guter Freund, der ihm immer wieder Mut zuspricht. Seine Zeit als Nazi ist Eichi heute selbst ein Rätsel. Er kann sie beschämt nur mit Dummheit und Ignoranz erklären. Wenn er sich später im Film vor sein Team stellt, um über sein früheres Ich zu sprechen, ringt er um Worte und kämpft mit den Tränen.

Blumenthal ist ein beeindruckendes Porträt eines von der Zeit vergessenen und von der Politik aufgegebenen Landstrichs gelungen. Vor allem aber von den Menschen, die dort leben, ob angestammt oder neu hinzu gekommen. Die sich irgendwie mit den Bedingungen arrangieren müssen, um das beste daraus zu machen. Das mag nicht viel seien. Es macht aber doch Hoffnung. Wenn sich einer wie Eichi auf ein Besseres besinnen kann, gilt das vielleicht auch für andere.

Ganz nah kommt Blumenthal ihren Protagonisten (Kamera: Anke Riester und Christian Trieloff). Sie verzichtet auf einen erklärenden Off-Kommentar, der wohl eh nur als belehrend wahrgenommen würde. Das größte Verdienst Blumenthals ist es aber wohl, die Probleme vor Ort zwar ungeschönt zu beschreiben, den Osten aber nicht als hoffnungslos in brauner Brühe versinkend darzustellen. Und das ist dann wirklich mal etwas Neues.

IM OSTEN WAS NEUES läuft ab 13. November im Kino.

Thomas Heil

IM OSTEN WAS NEUES, Regie: Loraine Blumenthal, mit: Thomas „Eichi“ Eichstätt, Asadullah „Asad“ Matsagov, Thomas Bundu, Anja Eichstätt u.v.a.