„Blau ist eine warme Farbe“ von Abdellatif Kechiche



In der Folge entwickelt Kechiches Werk seine Stärken, die ihm auch als Schwäche ausgelegt werden könnte: Er zeigt das auf und ab eines jungen Paares, begleitet sie, zeigt sie ausführlich und explizit beim Sex – genau, wie es das Kino schon x-fach mit heterosexuellen Beziehungen getan hat. Alles schon mal gesehen, bestens bekannt und deshalb langweilig? Nein. Er erschafft eine Normalität, die außerhalb dieser dunklen Kinosäle noch längst nicht überall in der Gesellschaft angekommen ist.

Dafür stehen auch die beiden Familien der Liebenden, die Kechiches Werk eine weitere Dimension geben. Auf der einen Seite das bürgerliche, aufgeklärte Elternhaus von Emma, wo die sexuelle Orientierung der Tochter schon lange keine Rolle mehr spielt, auf der anderen Adéles brave Arbeiterfamilie, die nie bemerkt, dass sich hinter der angeblichen Philosophie-Nachhilfelehrerin Emma die erste große Liebe im Leben der Tochter verbirgt. Dabei verzichtet Kechiche weitgehend auf Klischees, um die Unterschiede zu illustrieren und lässt stattdessen klug Zwischentöne und kleine Szenen erzählen. Die Newcomerin Adele Exarchopoulos und vor allem die wieder einmal herausragende Lea Seydoux („Sister„) zeigen Mut, indem sie sich auf die expliziten Sex-Szenen Kechiches einlassen und werden damit belohnt als lesbisches Paar in die Kino-Geschichte einzugehen. Der richtige Film zur richtigen Zeit für eine Gesellschaft, die noch viel lernen muss.

Denis Demmerle

La vie d’Adèle„, Regie: Abdellatif Kechiche, Darsteller: Adele Exarchopoulos, Lea Seydoux; Kinostart: 19. Dezember 2013

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