„Skin“ von Guy Nattiv



Im Zusammenhang mit Babs Ausstieg dreht sich in „Skin“ alles um die Rollenzwänge eines nur in der Gruppe funktionierenden Rassisten. Nattiv zeigt eindrücklich, wie Babs in die Rolle des skrupellosen Suprematisten gezwängt wird, wie er sich in diese Rolle zwingen ließ und wie viel Macht und Anerkennung damit verbunden sind, den Ansprüchen seiner Rolle gerecht zu werden. Thematisch fesselt dieser Konflikt und ist szenisch dicht dargestellt.

Gerade im aktuellen politischen Kontext einer westlichen Gesellschaft, die immer weiter nach rechts abdriftet, ist das thematisieren dieser Rollenzwänge wichtig, da sie das Handeln von Rassisten von innen heraus aushöhlt. Indem „Skin“ Machtkämpfe um Rollenerwartungen von Rassisten fast nur auf zwischenmenschlichen Ebenen inszeniert, die in politischen Handlungen münden, werden gerade die unpolitischen Handlungsmotive der Rassisten kritisch vorgeführt.

Besonders Nebenfiguren wie Julies älteste Tochter Desiree oder der schüchterne Teenager Gavin überzeugen, da sie erzählen mit welchen leeren Inhalten neue Mitglieder in eine radikale politische Szene rutschen können. So erlaubt Ma Desiree bei einer zufälligen Begegnung auf der Straße alles zu machen was sie will, ihre Mutter ihr aber verbietet. Gavin akquirieren die Anführer der Vinlanders, indem ihm Bier und etwas Verbotenes angeboten wird. Der Reiz für sinnsuchende Teenager in einer neuen Gruppe schnelle Anerkennung als eine Art Pflaster für emotionale Vernachlässigung zu bekommen, sticht als weiteres Thema heraus, das narrativ noch konsequenter durchgespielt werden könnte.
Im Plotverlauf lässt Nattiv – ob unbewusst oder bewusst – mehrmals wichtige Szenen verschwinden, wodurch holprige Sprünge und Lücken entstehen. Gut gelingen ihm dagegen Brüche, die das wutentbrannte Rassisten-Image Babs umdrehen. Wenn er etwa Julies lachende Kinder auf einem Anhänger umherfährt oder ergriffen bei seiner Hochzeit weint.

Babs Ausstieg aus der rechten Szene begleitet Nattiv mit einem Nebenstrang um den Menschenrechtsaktivisten Daryle und eingeschobenen vorausschauenden Plotebenen, in denen Babs sich unter Qualen seine Tattoos entfernen lässt. Insgesamt 612 Sitzungen muss er durchlaufen, um seine äußere und innere Vergangenheit zu begraben. Das parallele Montageprinzip kulminiert am Ende etwas zu vorhersehbar und zeigt Babs in einer Szene, die unter die Haut geht.

Skin“ ist ein aufrüttelndes Thriller-Drama, das wichtige Inhalte transportiert, indem es den Zuschauer intim nachvollziehen lässt wie Menschen zu Rassisten werden. Jamie Bells feinfühliges Schauspiel und Nattivs gewaltige Bildsprache machen den Film wertvoll. Nicht oft genug durchbricht Nattiv konventionelle Muster innerhalb der Narration, wodurch der Zuschauer selten überrascht wird. Die essentiellen Themen im Spektrum von Rassismus, Macht, Ohnmacht und der Suche nach Anerkennung stechen heraus und erzeugen große Emotionen. Emotionen, die man sich am liebsten als Warnung eintätowieren möchte, um in entscheidenden Momenten nicht aufgezwungenen Rollen zum Opfer zu fallen.

Wenke Bruchmüller

Skin„; Regie: Guy Nattiv; DarstellerInnen: Jamie Bell, Danielle Macdonald, Bill Camp, Vera Farmiga, Mike Colter, Daniel Henshall; Kinostart: 3. Oktober 2019

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