„Toomelah“ von Ivan Sen


Regisseur Ivan Sen zeigt in "Toomelah" eine junge Generation von Aborigines und mit ihr das Scheitern von Gegenwartspolitik.

Regisseur Ivan Sen zeigt in "Toomelah" eine junge Generation von Aborigines und mit ihr das Scheitern von Gegenwartspolitik.

Der kleinkriminelle Streichelzoo

Sind es bei uns türkisch-stämmige Deutsche und in den USA Afroamerikaner oder Hispanics, so richtet Australien die Aborigines zu ihrem ganz persönlichen kleinkriminellen Streichelzoo ab. Wie hier steht auch dort die offene Gesellschaft mit ihrer Kriterienlosigkeit des freien Willens vor einer sinnlich-empirischen Blackbox, die keiner begrifflichen Differenzierung zugänglich ist. Streifen über Drogendealer mit Migrationshintergrund wirken immer ein wenig kalkuliert und mittlerweile setzen auch beim Interessiertesten Symptome der Saturiertheit ein: wütender, nicht dummer Bengel. Fürsorgliche Großmutter. Schlechtes Umfeld. Umsorgter Englischlehrer mit ausgeprägter sozialer Ader. Eigentlich fehlt bei Ivan Sens „Toomelah“ nur noch ein 2Pac-Song und das Klischee wäre perfekt.  Daniel (Daniel Connors) ist zehn Jahre alt und lebt in einem Mehrgenerationenhaushalt in der Toomelah Aborigine Mission in New South Wales. Der Vater ist ein Wrack und wie es sich für ein zelluloidtaugliches Wrack gehört, war er mal Boxer, ist nun Alkoholiker und lebt nicht mehr bei dem Rest der Familie. Wenn die Inhaltsleere des freien Willens das zentrale Wesensmerkmal des Filmes sein soll, dann muss die zu deren Bestätigung herangezogene Herrschaft der Gleichgültigkeit zwingend flächendeckenden Charakter haben.

Sie darf nicht bloß da und dort anzutreffen sein, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen und Beziehungen. Die Mutter schickt also ihren Spross Drogen kaufen und sich selbst auf den Strich. Bei seiner Einkaufstour freundet sich Daniel mit dem Dealer Linden (Christopher Edwards) an. Selbstredend instrumentalisiert Linden Daniel für den Drogenhandel und der wiederum findet in Linden eine Vaterfigur. Daniel schwänzt nun die Schule. Kalamitäten löst er mit einem Schlag ins Gesicht.  Die Kamera hängt wie ein Handy stets an seiner Gesichtsseite und begleitet ihn auf den Schrottplatz, zum Fluss oder die Straßen entlang zur baufälligen Siedlung. Wenn Ivan Sens von den Zuständen der Gleichgültigkeit berichten möchte, hat er faktisch immer nur seine über den Zustand des Rohmaterials nie herauskommende Ansammlung von Sequenzen im Auge, in denen der fertige Film irgendwie und irgendwo auf der Strecke geblieben ist.  So versucht er sich damit zu retten, dass die gesamte Wirklichkeit der Beliebigkeit unterläge und nicht nur seiner Unfähigkeit geschuldet ist, Geschehen ansprechend und dem ernsten Thema gerecht im cineastischen Binnenraum voranzutreiben. Sein sich humanistisch gebender Blick auf die größtenteils von Laien dargestellten Figuren entpuppt sich sehr schnell als einfallsloser Zynismus. Auf der einen Seite gehen seine Bilder mit dem sozioökonomischen Erklärungsmodell einer strukturellen Armut d´accord, auf der anderen Seite verweilt er soziohistorisch auf Stammtischniveau, das man nur mit sehr viel gutem Willen als thetische Zurückhaltung auslegen wird. Der Ghetto-Chic ist wohl biedermännisch geworden.

Joris J.

Toomelah Regie/Drehbuch: Ivan Sen, Darsteller: Daniel Connors, Christopher Edwards, Danieka Connors, Dean Daley-Jones