„Wolfskinder“ von Rick Ostermann



Regisseur Rick Ostermann führt seine Charaktere zunächst durch eine Umgebung, die Leichtigkeit und Zuversicht verspricht. Der Sommer 1946 ist heiß, sonnig und überzieht das Land mit einem goldenen Schimmer. Die beiden Brüder Hans und Fritz sind zwei aufgeweckte Kinder. Hans ist still und besonnen, Fritz ist mutig und beherzt. An einem Nachmittag stehlen sie den Sowjets ein Pferd und führen es zu einer Scheune. Hans, der ein Tagebuch von Darwin sein Eigen nennt und großes Interesse an der Natur hat, streichelt behutsam seine Nüstern. Bis Fritz eine Pistole hervorholt und schießt. Dann weiden sie das Tier aus.

Doch das Versprechen gegenüber der Mutter, gemeinsam nach Litauen zu gehen, können sie nicht einhalten. An einem Fluss geraten sie in den Kugelhagel der Roten Armee und verlieren sich aus den Augen. Hans trifft auf andere Kinder und flieht mit ihnen in die Wälder. Das Schicksal seiner neuen Gefährten ist identisch: Auch ihre Eltern sind tot oder verschollen, auch ihr Leben ist von Flucht und Hunger bestimmt. Gierig stopfen sie Frösche, wilde Beeren und rohes Fleisch in ihre verschmierten Münder, während ihre Augen ängstlich den Wald nach der nächsten Bedrohung absuchen. Zumindest Hans hat ein Ziel vor Augen, das ihn zum Weitergehen und Weiterleben zwingt. Er will den Hof in Litauen finden und dort auf seinen Bruder warten. Die anderen Kinder haben gar nichts. Der Jüngste unter ihnen hat nicht mal ein Paar Schuhe.

Rick Ostermanns Spielfilmdebüt ist durch Zeitzeugen und intensive Recherche eng an ein dunkles Kapitel europäischer Geschichte geknüpft. Zugleich steht es außerhalb davon exemplarisch für die tausenden Einzelschicksale von politisch Verfolgten und Vertriebenen. Für persönliche und anonyme Tragödien, zu deren Verständnis keine politischen Zusammenhänge nötig sind. Kraftvoll und kräftezehrend entfaltet Wolfskinder eine grausame Welt, in der die Befriedigung der eigenen Existenzbedürfnisse die oberste Maxime bildet und Vertrauen – wenn überhaupt – nur unter Gleichen möglich ist. Eine Welt, in der die Unschuldigen die Bürde der Schuldigen tragen müssen. Entsprechend bitter ist der Nachgeschmack, mit dem der Film seine Zuschauer entlässt: Vom Leben an der Schwelle zum Tod erzählen nicht nur die Geschichtsbücher. Der Kampf gegen Hunger und Angst ist zeitlos.

Alina Impe

Wolfskinder„, Regie: Rick Ostermann, DarsterInnen: Jördis Triebel, Til-Niklas Theinert, Levin Liam, Helena Phil, Vivien Ciskowska, Willow Voges-Fernandes; Kinostart: 28. August 2014, DVD-Start: 20. März 2015

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