11mm Fußballfilmfestival – Das Kind und der Fußball


Das 11mm Fußballfilmfestival zeigte in diesem Jahr erstmals in einer eigenen Kinder- und Jugendsektion drei Beiträge aus dem Genre Kinderfußballfilm. Neben der aktuellen Hochglanzproduktion „Die Teufelskicker“ (seit 11. März im Kino) von Regisseur Granz Henman wurden die beiden Klassiker des Genres: „Bravo, kleiner Thomas“ (19443/44) und „Fimpen, der Knirps“ (1974) aufgeführt, die in ihrer Auswahl die Wandlung verdeutlichten, die der Fußball und die damit einhergehende öffentliche Wahrnehmung in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat. Generationen von Kindern verbinden mit ihrer Kindheit, betrachtet man die Filme unter der Prämisse des Wandels, einen sich kontinuierlich umgestaltenden Sport.

Bravo, kleiner Thomas“ von Jan Fethke entstand in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges und ist, wenn auch nicht offensichtlich, ein Propagandafilm. Eines der letzten Werke, die unter der Ägide der nationalsozialistischen Filmpolitik entstanden. Es gibt hier keinen Krieg, keine zerbombten Häuserschluchten, keine Soldaten, keine vordergründige NS-Symbolik, keinen Hunger. Thomas, ein strahlend blonder Junge von sechs, sieben Jahren, will von der Jugendbande seines Dorfes anerkannt werden. Als Kleinster wird er nicht ernst genommen und schießt bei einem Fußballspiel zu allem Überfluss auch noch ein Eigentor. Die Schmach der Niederlage kaum überstanden, rettet er kurze Zeit darauf der kleinen blondgelockten Monika, die in den nahen Fluss gefallen ist, das Leben und erhält als Dank für seinen Mut vom Vater des Mädchens einen Fußball. Die Freude ist groß, doch schon beim nächsten Spiel landet der Ball nicht im Tor des Gegners, nein – es ist das Fenster des Bäckers, der umgehend 36 Mark für eine neue Scheibe einfordert und den Ball konfisziert. Die Jungen müssen sich zusammenraufen und treiben das Geld schließlich auf, um endlich wieder Ballspielen zu können.

Der Fußball, das runde Ding aus gegerbtem Leder, ist in diesem Schauspiel nur der Anlass für eine moralische Lektion: „Einer für alle, alle für einen“ oder auch „Gemeinsam sind wir stark“, die Floskeln sind austauschbar. Thomas lernt, dass er sich auf die Freunde verlassen kann und die wiederum lernen, ihn in ihrer Mitte zu akzeptieren. Es ist ein Spiel um Außenseitertum und Integration, versetzt mit Propagandaschmäh. Vergleichbares gilt für den gezeigten Fußball. Die Geschichte lehrt, dass man das Ziel erst zusammen erreicht und am Ende das gemeinsam erlebte Glücksgefühl steht: Der Sieg der Mannschaft. Fußball ist in diesem Raum auf seinen kleinsten gemeinsamen Nenner begrenzt: Man spielt kooperativ, obwohl man gegeneinander antritt. 1944 wurde auf dem Fußballplatz gebolzt, der wirkliche Kampf fand im wahren Leben statt.

Eine andere Position zeigt „Fimpen, der Knirps„, eine schwedische Produktion aus dem Jahr 1974, in dem u.a. auch der schwedische Nationaltorhüter und ehemalige Profi des 1. FC Kaiserslautern Ronnie Hellström mitwirkte. Der sechsjährige Johan ist ein begnadeter Fußballspieler und wird auf dem Spielplatz von einem Fußballmanager entdeckt, der ihn für seinen Profiverein engagiert. Johan erhält den Spitznamen Fimpen, in der deutschen Übersetzung Stummel, und findet sich kurze Zeit später in der schwedischen Nationalmannschaft wieder. Er wird zum Star der Mannschaft und schießt diese mit seinen Toren schließlich zur Weltmeisterschaft in Deutschland. Doch so gut Fimpen auch auf dem Spielfeld ist, seine schulischen Leitungen verschlechtern sich zusehends und so muss er sich schlussendlich zwischen Schule und Fußballkarriere entscheiden. Fimpen wird wieder zu Johan, der artig die Schulbank drückt.

Ein Kinderfilm, der seinem Publikum ein Märchen erzählt? Nein, die Lehre besteht auch hier in der Realität. Johan muss wie jedes andere Kind auch in die Schule gehen, um sein Leben zu meistern. Talent allein genügt nicht. Ohne Moral kommt auch Regisseur Bo Widerberg nichts aus, doch sein Held wagt es zu träumen. Johan träumt den Traum vieler Kinder, die Feuerwehrmann, Polizist oder eben Fußballer sein wollen. Es geht um den Beruf, oder zumindest um das Bild davon, nicht um den daraus folgenden Ruhm und das öffentliche Ansehen. Der Fußballer ist ein Arbeiter, der sich nur unwesentlich von anderen Arbeitern abgrenzt. Gerade hier ist „Fimpen, der Knirps“ nicht nur ein Kinderfilm, er ist ein Märchenfilm voll naiver Schönheit, der seinen Protagonisten in seiner Entscheidung behütet und den Traum nicht durch eine Realität ersetzt, sondern beides in Einklang bringt.

Ähnliche Betrachtungen finden sich heute auch unter Fußballfans, die sich in die 70er Jahre und damit in die „gute, alte Zeit“ des Fußball zurücksehnen – eine Zeit, in der nicht nur Geld, Verträge und Werbepausen eine Rolle spielten, in der es keine bestuhlten Fankurven gab und der Held mit der Zahl auf dem Rücken einem archaischen Selbstzweck diente, so die Meinung. Die Antwort auf die Frage, ob es die „gute, alte Zeit“ überhaupt gab, liefert die kleinen Geschichte um Fimpen selbst: Märchen sind allein für Kinder da.

Fünfunddreißig Jahre später zeichnet Regisseur Granz Henman mit seinem Jugendfilm „Die Teufelskicker„, der Film basiert auf der erfolgreichen Kinderbuchreihe von Frauke Nahrgang, ein geradezu konträres Bild zum Fußball der 70er Jahre. Seine Teufelskicker sind keine Helden. Sie brauchen keine. Sie sind Stars im eigenen, selbstreferenziellen Kosmos. Henman setzt sich nur marginal mit Fußball auseinander, konstruiert Jungenderfahrungen und einen oberflächlichen Zusammenhalt der Gang. Zum Inhalt: Moritz liebt Fußball über alles. Gemeinsam mit seinem Vater, der auch sein Trainer ist, verbringt er seine Freizeit am liebsten auf dem Fußballplatz. Leider stellt sich seinem Vergnügen die Trennung seiner Eltern entgegen. Die Mutter zieht mit Moritz zum kauzigen Großvater Rudi, ausgerechnet in die Stadt, in der Moritzs Erzrivale Mark, der Star des gegnerischen Lokalmatadoren, wohnt. Moritz rekrutiert schnell neue, fußballbegeisterte Freunde, darunter eine Gruppe von Kindern die perfekt den Trendsport Parkour beherrscht – und die wie er ein Dasein als Außenseiter fristen. Im Verlauf wird Fußball gespielt und trotz aller Widrigkeiten rauft sich das ungleiche Team schließlich zusammen.

Als Zuschauer erfährt man wenig über die Faszination, die ein Gemeinschaftssport ausmacht. Vielmehr konzentriert sich Regisseur Granz Henman auf die Darstellung einer Jugendkultur, ohne sich von ihren Klischees abzugrenzen und sitzt diesen damit letztlich auf. Moritz und seine Freunde wirken wie kleine Erwachsene, die sich gegenseitig zur Ordnung rufen, ihre politisch unkorrekte Witze über Türken untereinander tadeln und ihr kindliches Spiel dem Leitungsdruck der Eltern unterworfen haben. Das Spiel, im Film könnte es jede beliebige Sportart sein, ist reduziert auf den Gewinn, die Kindheit wird zur Erwachsenenwelt umgestaltet und zum Abziehbild einer Vorstellung, die aus Glamour und Stars besteht – „Deutschland sucht den Superstar“. In diesem Kosmos wirkt es nicht mal irritierend, dass sich die Eltern mitunter naiver verhalten, als es die Sprösslinge tun.

Aber was hat das mit Fußball zu tun? Nur sehr wenig. „Die Teufelskicker“ zeigt vor allem eines: Popstars und Klischees, die sich vermarkten lassen und den Auftakt für ein profitables Franchise bilden. Erfolg, der sich in Zahlen messen lässt und mit dem sich der Kreis zum Fußball, dem heute gern totale Vermarktung und eine monetäre Ausrichtung vorgeworfen werden, schließt. Der Fußball der Gegenwart ist eine Attraktion, die sich auszahlt und auszahlen muss, die verkauft werden will. Dem Jugend- und Kinderfilm geht es heute nicht anders. Als Zuschauer vermisst man die Originale und fühlt sich dennoch so, als würde man mit diesem Wunsch einer Lüge aufsitzen. König Fußball ist tot. Es lebe König Fußball!

Martin Daßinnies

Foto: „Bravo, kleiner Thomas“ – Murnau Stiftung