Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch im März 2011


Tarantino, Cruise und (japanische) Filmkunst in Berlin

Alice Dwyer, Jörg Frieß

Alice Dwyer, Jörg Frieß

Buttgereit: Das Arsenal war sicher vom Programm her ein Kino, was vergleichbar mit dem Zeughauskino heute sehr elitär war. Da bekam man nicht einmal Süßigkeiten. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem ich mir mit einem Freund „Der Untergang des Hauses Usher“ in der Stummfilmvariante angesehen habe und er für seine, bei jeder Bewegung quietschende, Lederjacke beschimpft wurde – und dass, obwohl er puristisch ohne eine Musikbegleitung lief. Das Arsenal hat offensichtlich auch die Mittel, sich um Shibuya-Filme zu kümmern, für die nachts niemand den Fernseher anmacht, die dort aber brechend voll sind. Faszinierend.

BFF: Stehen Filmreihen, die Festivals, das Arsenal oder eben auch das Zeughauskino für einen eigenen Luxus, der die Berliner Filmlandschaft einmalig macht?

Jörg Frieß, Leiter der Kinemathek im Deutschen Historischen Museum stößt in dem Moment zur Runde, in der sein Zeughauskino gelobt wird. Gutes Timing. Er stellt sich kurz vor und nimmt den Platz an Alice Dwyers Seite gegenüber von Jörg Buttgereit ein.

Schmidt zu Dwyer: Wie wichtig ist Berlin als Stadt für dich als Schauspielerin?
Dwyer: Ich frage mich immer, wie das Leute vom Dorf oder aus anderen Städten machen. 90 Prozent der Castings finden in Berlin statt.
Schmidt: Also musst du nur selten reisen, um vorzusprechen?
Dwyer: Sehr selten. Ich muss mich eher selbst mit der Kamera aufnehmen. Gerade bei internationalen Produktionen, aber auch immer häufiger in Deutschland.
Buttgereit: Bei meinen Theater-Castings schaue ich auch immer zuerst im Netz. Sogar bei Hörspielen suche ich zuerst dort nach Sprachproben. Finde ich keine, gehe ich zum nächsten. So hart das ist. Für die Vorauswahl ist das wichtig.
Dwyer: Das ist auch okay. Aber Szenen vor einer Kamera vorzuspielen und das einzuschicken, finde ich heftig.
Buttgereit: Bei meinem letzten Projekt habe ich mich über den Aufwand der Bewerber gewundert, die mir ungefragt Sachen geschickt haben.
Jörg Frieß: Ist das nicht Aufgabe von Casting-Agenturen?
Dwyer: Das finde ich auch. Wobei zum Beispiel in Köln vielmehr Komödien gedreht werden, als hier in Berlin.

BFF: Welche Rolle spielen die Filmstudios in Babelsberg für den Filmstandort Berlin?

(v. l. n. r.) Alice Dwyer, Jörg Frieß, Jörg Buttgereit, Birger Schmidt

(v. l. n. r.) Alice Dwyer, Jörg Frieß, Jörg Buttgereit, Birger Schmidt

Dwyer: Die internationalen Produktionen kommen wegen dem deutschen Geld.
Buttgereit: Damit ist nicht das Stupid German Money der Medienfonds gemeint, sondern das Fördergeld, das zurück in den Standort fließt. Man darf sich nicht einbilden, dass sich Tarantino Berlin von selbst ausgesucht hat. Aber: Alle waren stolz und „Inglorious Basterds“ war ein toller Film. Während das Tom Cruise mit „Staufenberg“ weniger gelang.
Dwyer: Den habe ich nicht mal gesehen.
Buttgereit: Der Hauptdarsteller hat sich auch nicht so beliebt gemacht… Aber außerhalb von Deutschland kam der Film gut an. Vom ebenfalls in Babelsberg gedrehten „Speed Racer„, der auf einem japanischen Comic beruht, blieb außer dem Know-How nicht viel in Deutschland übrig.
Frieß: Japan ist auch bei uns ein Thema: Vergangenen Dienstag eröffneten wir die Filmreihe „Kinematografie heute: Japan“, die sich mit dem japanischen Kino der letzten fünf Jahre beschäftigt. Die das ganze Spektrum von Dokumentation über Spielfilm bis hin zu Low-Budget abdeckt und mit „Outrage“ den neuesten (Takeshi) Kitano-Film bietet. Wir hoffen auf Keiichi Hara und Eto Mori, die eigentlich im Zuge ihres Besuches der Leipziger Buchmesse auch zu uns kommen wollten, aber wir wissen nicht ob sie reisen werden. (Anm.: Hara und Mori haben mittlerweile abgesagt.)

BFF: Spüren sie die gesteigerte Aufmerksamkeit an Japan?

Frieß: An den Besucher noch nicht. Am Wochenende zeigten wir „Nokan„, der 2008 den ersten Oscar seit den 50er-Jahren für Japan gewonnen hat, der mit 60 Zuschauern schon recht gut besucht war.
Buttgereit: Der hatte auch einen deutschen Verleih, oder?
Frieß: Ja. Ebenso wie „Love Exposure„, der im Berlinale Forum lief, aber schnell aus den Kinos verschwand.
Schmidt: Kommen denn viele japanische Besucher?
Frieß: Bei der Eröffnung war die japanische Botschaft über die vielen Nicht-Japaner begeistert, während sich die deutschen Besucher über die Japaner freuten. Gibt es in Berlin eigentlich noch asiatische Filmwochen?
BFF: Es gibt das Asia Filmfest und Asian Hot Shots, die aber seit der letzten Woche dringend um finanzielle Unterstützung bitten, um deren Bestehen zu sichern.
Buttgereit: Die fanden bisher dreimal statt.
Frieß: Ich hatte von denen damals nicht rechtzeitig erfahren.
Buttgereit: Berlin ist ein hartes Pflaster. Man muss entscheiden, wo man hingeht. Wann geht man denn selbst einfach mal ins Kino? Ich selbst sehe die Filme in der Regel in der Pressevorführung, damit ich sie nicht in Deutsch sehen muss und die obskureren Sachen habe ich längst vor Kinostart zu Hause. Mit Freunden gehe ich nur selten ins Kino, weil ich meistens keine Lust auf die Popcornmonster habe.
Dwyer: Aber wahnsinnig viele Kinos zeigen Filme in Originalsprache. Ich schaue auch wenige synchronisierten Filme, schon gar keine Englischen, weil ich zweisprachig aufgewachsen bin. Das geht schon.
Buttgereit: Wobei eben zwei Monate später auch alles auf DVD erhältlich ist. Das schaue ich dann auf meinem großen Fernseher.
Frieß: Geht ihr alleine ins Kino?
Buttgereit: Ja, gerade zu Pressevorführungen.
Dwyer: Das ist toll, gerade bei Nachmittagsvorstellungen.
Buttgereit: Wobei für mich ein Abend wie letztens im Z-inema der Z-Bar, als Katja Bienert, die damals das Mädchen von Bahnhof Zoo spielte, einen schlechten italienischen Kanibalenfilm zeigte, mehr Reiz hat.
Schmidt:Mondo Cannibale 4 – Nackt unter Wilden„. Der ist scharf.

Die Herren Buttgereit und Frieß diskutieren über die herrenlosen Currywürste, die in einer Porzellan-Schale im Papplook auf dem Tisch warteten, ehe die Runde sich zum ersten Mal der Berlinale widmet, die ihre Premieren nur einen Steinwurf entfernt vom Mesa gegenüber im Berlinale Palast feiert.

Birger Schmidt

Birger Schmidt

„Ich bin wegen der Berlinale nach Berlin gezogen.“

Frieß: Die diesjährige Berlinale hatte im Vorfeld äußerst gute Kritiken, weil der Wettbewerb als Zuwendung zum Arthouse galt.
Schmidt: Ich bin wegen der Berlinale nach Berlin gezogen. Für mich ist sie eine große Freude. Meine Kino-Sozialisation erfuhr ich im Kino in Burg auf Fehmarn, eines der schönsten Kinos in Norddeutschland, wo sogar auf Knopfdruck bedient wird.
Dwyer: Gibt es das Kino immer noch?
Schmidt: Ja.
Dwyer: Kann man darin auch Rauchen?
Schmidt: Ja.
Dwyer: Das ist eine Reise wert. Prima.
Buttgereit: Wobei der Komfort im Astor nicht zu verachten ist.
Schmidt: Der Filmpalast (Anm.: Der Astor-Vorgänger) war auch ein schönes Kino.
Buttgereit: Das Astor hat das Kinosterben am Ku`damm überleben können, weil es jemandem gehört, der nicht gerade arm ist.
Dwyer: Ich gehe ins Odeon in Schöneberg. Ich wohne in der Ecke.
Buttgereit: Ich auch. Da war ich als Kind schon. Das steht unter Denkmalschutz, deshalb sieht die Decke dort so ranzig aus.
Dwyer: Genau das sagt meine Mutter auch immer. Es ist umgeben von nicht so schönen Gebäuden. Wobei das Babylon in Kreuzberg auch toll ist.
Buttgereit: Das sind die beiden Originalfassungs-Kinos.

Im zweiten Teil von Delicatessen – Das Berliner Tischgespräch mehr über den Einfluss von Filmkritik, erfolgreiche Filmreihen sowie das Scheitern auf Leinwänden und auf Pressekonferenzen.

Redaktion & Protokoll: Denis Demmerle
Fotos: Andreas Sohn

1 2 3