Zurückgespult #15: Deutscher Genrefilm

Form weg, Geschichte rein und Frauenfiguren an den Rand – fertig ist der deutsche Genrefilm?



Nur greifen die beiden dabei auf ein Rezept zurück, das verdächtig nach Neunzigerjahre-Storytelling schmeckt: Möglichst wenig Form, möglichst viel Geschichte und fertig ist der solide Genrefilm. Mit kleinen, frechen erzählerischen Kniffen, wie etwa Harms‘ Schlapphut, die Zigarette im Mundwinkel und dem überdimensionierten Schnurrbart würden dann, wenn es nach Müllerschön geht, ganz en passant Anleihen an die großen klassischen Gangstermimen wie Alain Delon oder Jean-Paul Belmondo gelingen – so einfach kann echtes Erzählen im Kino sein. Ach so: Möglichst viel Gewalt, harter Sex mit irgendeiner am Rande agierenden Frauenfigur sowie der schale Geruch vermeintlicher Authentizität des Milieus gehören natürlich auch noch dazu. Ähnlich wie es uns Moritz Bleibtreu und Jürgen Vogel gerade erst in „Stereo“aufgetischt haben. In dem Psychothriller erzählt Regisseur Maximilian Erlenwein seine Version einer gespaltenen Persönlichkeit mit krimineller Vergangenheit. Der Film fungierte quasi als Vorhut von „Harms“ und wurde als „intelligenter Genrefilm der Extraklasse“ (Deutschlandfunk) gefeiert. Zusammenfassend sieht das dann so aus: Heftig tätowierte Jungs haben noch was zu klären mit ihren Rivalen, nein eigentlich mit der ganzen Welt und irgendwie auch mit sich, aber bitte ohne viel Reden, ohne viel Emotionen und bloß nicht so viel filmästhetischen Formwillen.

Weiterlesen: Hier unsere Kritik „Auf Genrestreifzug mit Vogel & Bleibtreu“ zu „Stereo„.

Immer wieder erstaunlich, wie naiv und zwangsläufig konturlos einige Filmproduzenten und Regisseure sich ihre Figuren zusammenbasteln. Dass gerade die New Hollywood-Klassiker aus den Sechziger- und Siebzigerjahren wie etwa „French Connection“ oder „Bonnie und Clyde“ aufgrund der gelungenen Verzahnung von formaler und erzählerischer Ebene brillierten – geschenkt.

Übrigens ist es kein Zufall, dass sich nun gerade die harten Jungs der deutschen Film- und Fernsehbranche auf den freien Posten des Gangsterfilms/Psychothrillers/Sci-Fis bewerben. Denn was Gendermainstreaming in Sachen filmische Stoffe anbelangt, ist Deutschland noch ziemlich unterentwickelt. Claudia Tronnier, ihres Zeichens Redaktionsleiterin beim „Kleinen Fernsehspiel“, bemerkt in der aktuellen Ausgabe der „Missy Magazine“ zum Thema Karrieren deutscher Regisseurinnen: „Regisseurinnen sind in den Bereichen Drama, Arthouse und teilweise Komödie stark vertreten. In den Genres Krimi, Thriller und Science Fiction dagegen dominieren eher Männer.“ Dabei hätten es ihrer Meinung nach Frauen erheblich leichter, sagt Tronnier, sich längerfristig in der deutschen Kino- und Fernsehlandschaft zu etablieren, wenn ihr Erstling ein Thriller oder Krimi gewesen wäre. Eine Diversity-Studie zu diesem Thema im Auftrag des Bundesverbandes für Regie steht offenbar kurz vor der Veröffentlichung.

Spannend dürfte es dementsprechend dann werden, wenn ein ursprünglich von einer Frau erfolgreich umgesetzter Gangsterfilmstoff von einem Mann wiederbelebt wird: Die Dreharbeiten zum Remake von „Gefährliche Brandung“– im Original von Amerikas Vorzeige-Genrefilmerin Kathryn Bigelow – haben gerade in Berlin begonnen. Im Regiestuhl sitzt „The Fast and the Furious„-Regisseur Ericson Core.

Cosima M. Grohmann

Weiterlesen: Zurückgespult #1 bis #14

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