ALFILM: 15 Jahre arabisches Kino in Berlin


INSHALLAH A BOY © ALFILM
INSHALLAH A BOY © ALFILM

Vom 24. bis zum 30. April findet ALFILM – Arabisches Filmfestival Berlin statt und baut damit zum 15. Mal eine filmische Brücke zwischen der arabischen Welt und Deutschland.

An sieben verschiedenen Spielorten – vom Wedding bis in den Prenzlauer Berg – werden insgesamt 50 verschiedene Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme gezeigt. Dazu kommen Filmgespräche, Masterclasses und die Live-Vertonung eines Stummfilms.

Das Festival unterteilt sich in drei Sektionen: Selection, Spotlight und Special. ALFILM Selection zeigt ausgewählte und ausgezeichnete arabische Filme der letzten zwei Jahre. Unter dem Titel persona non grata nimmt die sie Sektion rassistische, sexistische und sozioökonomischen Ausgrenzungen in den Blick und legt gleichzeitig einen Fokus auf Widerstand und Selbstermächtigung.

Das Spotlight richtet ALFILM dieses Jahr auf Palästina. Unter dem Titel „Here is Elsewhere: Palestine in Arab Cinema and Beyond“ lädt das Festival dazu ein, sich mit arabischen und pro-palästinensischen Perspektiven auf den arabisch-israelischen Konflikt auseinanderzusetzen. Dabei hat sich das Festival zum Ziel gesetzt, palästinensischen Narrativen und offener, respektvoller Diskussion einen Platz in der deutschen Kulturlandschaft zu geben. Gezeigt werden hier Filme wie IT MUST BE HEAVEN (Elia Suleiman, PS/FR/QA/DE/CA/TR) von 2019 oder HANNA K. (Costa Gravas, FR/IT) von 1983.

Das Special steht unter dem Zeichen der 15: 15 Jahre ALFILM – 15 Jahre Arabisches Kino in Berlin. Es finden Performances, Podiumsdiskussionen und Masterclasses von und mit Filmschaffenden statt, die das Festival in den 15 Jahren seines Bestehens begleitet haben – so zum Beispiel von der Sounddesignerin Rana Eid. Eine Networking Session in Kooperation mit dem Filmfestival AFRIKAMERA nimmt arabische und afrikanische Filmperspektiven in den Blick. In der Live-Performance Palestine – A Revised Narrative vertont die Komponistin Cynthia Zaven Stummfilmaufnahmen britischer Streitkräfte, die zwischen 1914 und 1918 in Palästina entstanden.

Besonders empfehlenswert sind der Eröffnungsfilm BYE BYE TIBERIAS von Lina Soualem, BACKGROUND von Khaled Abdulwahed und INSHALLAH A BOY von Amjad Al Rasheed.

BYE BYE TIBERIAS (Lina Soualem, 2023 FR/PS/BE/QA)

BYE BYE TIBERIAS © Frida Marzouk, Beall Productions
BYE BYE TIBERIAS © Frida Marzouk, Beall Productions

Lina Soualem erzählt und dokumentiert in diesem Film die Geschichte ihrer Mutter, Großmutter und Urgroßmutter. Es ist eine Geschichte von Flucht und Vertreibung, von transgenerationalem Schmerz, vom Weggehen und Wiederkommen. Es sind vier Generationen von Frauen – die Urgroßmutter wird 1948 infolge des Palästinakrieges aus ihrem Heimatort vertrieben. Die Familie lässt sich in Deir Hanna in Galiläa nieder. Lina Soualems Mutter, die Schauspielerin Hiam Abbass, sucht später in Europa ihr Glück und beginnt schließlich in Frankreich eine erfolgreiche Filmkarriere.

In den Fotos, Videoaufnahmen und Gesprächen wird ein Stück palästinensischer Geschichte sichtbar. Geschichte auch jenseits von harten Fakten und verstaubten Dokumenten – emotionale Spuren, zersplitterte Identität, ein Leben zwischen den Welten, Kulturen und Sprachen.

INSHALLAH A BOY (Amjad Al Rasheed, 2023 JO/FR/SA/QA)

INSHALLAH A BOY © ALFILM
INSHALLAH A BOY © ALFILM

Nachdem ihr Ehemann plötzlich im Schlaf verstirbt, ist für Nawal (Mouna Hawa) und ihre Tochter Nora (Seleena Rababah) nichts mehr, wie es vorher war. Das Haus, in dem Nawal mit Nora lebt, hat der verstorbene Ehemann zwar mit Nawals Mitgift gekauft, doch offiziell ist sie keine Eigentümerin – die Papiere fehlen. Weil Nawal keinen Sohn hat, steht ihr dem jordanischen Erbrecht zufolge nicht das ganze Erbe zu. Die Hälfte geht an den nächsten männlichen Verwandten, ihren Schwager. Der will das Haus verkaufen und das Geld aufteilen. Für Nawal würde das bedeuten: sie muss bei ihrem Bruder und seiner Familie einziehen, während Nora von der Familie ihres Schwagers aufgenommen wird. Aufgeteilt wie das Erbe.

Das will Nawal um jeden Preis verhindern. Doch wie kann sie für ihre Rechte kämpfen, wenn sie keine Rechte hat? Amjad Al Rasheed inszeniert diesen Erbschaftsstreit wie einen Thriller, ein Gerichtsdrama außerhalb des Gerichtssaals. Nawal versucht verzweifelt, ihre Eigenständigkeit zu bewahren. Doch in der Gesellschaft, im Recht, das diese Gesellschaft strukturiert, existiert weibliche Unabhängigkeit nur inoffiziell und mit männlicher Legitimation. Abseits davon: keine Chance… oder?

INSHALLAH A BOY ist kein anklagender Fingerzeig à la Terre des Femmes, sondern eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Ideen von Anstand und Schicklichkeit, mit patriarchalen Strukturen und weiblicher Solidarität.

BACKGROUND (Khaled Abdulwahed, 2023 DE)

BACKGROUND © Alfilm
BACKGROUND © Alfilm

Knistern und Rauschen, elektronische Verzerrung in der digitalen Telefonleitung. „Hallo? Hallo?“ Die Verbindung bricht ab, Freizeichen – neuer Versuch. Khaled Abdulwahed erzählt in BACKGROUND, wie sein Vater Ende der 1950er-Jahre zum Studium nach Ostdeutschland ging. Oder besser: Er hört der Erzählung seines Vaters zu – wenn es die Telefonverbindung zwischen Deutschland und Syrien zulässt. Er begibt sich auf Spurensuche in Archiven, besucht die Studienorte in Leipzig, Dresden, Eisenhüttenstadt. Er sucht Spuren und wenn es keine gibt, fertigt er sie selbst an: fotografiert Unigebäude, Theater, Stadtansichten und platziert davor seinen Vater liebevoll per Photoshop – Pixel für Pixel.

Diese Bilder, so fühlt es sich an, sind der Versuch, die Vergangenheit in die Gegenwart zu transportieren. Sie sprechen von der Sehnsucht des Sohnes nach seinem Vater. Seine Abwesenheit durchdringt den Film, wird schmerzhaft spürbar in den bearbeiteten Bildern, den Telefonaten, die nie zu Ende geführt werden können und die nie genug sind.

Nebenbei immer der Versuch, den Vater vor dem Krieg in Sicherheit zu bringen, nach Deutschland. Erfolglos, so scheint es. Neben dem Schmerz sitzt also die Enttäuschung. Angesichts bürokratischer Mauern, angesichts der eigenen Machtlosigkeit gegenüber einem ungerechten System: „Sie wollen immer noch die gleichen Dokumente wie damals von dir, Vater. Dieselbe Bürokratie. Nichts ist passiert. Nichts passiert. Was kann ich anderes sagen?“