filmPolska 2011: Festivalbericht


Filmszene: "Mutter Teresa und die Katzen"

Filmszene: "Mutter Teresa und die Katzen"

Ein Grund zu feiern

Tomasz Dabrowski ist anzumerken, dass die in den Tagen vor Beginn von filmPolksa stetig steigende Anspannung langsam weicht. Er steht vor der Leinwand im Kino 1 der Hackeschen Höfe, wo sich die eine Hälfte es Publikums versammelt hat, die den Eröffnungsfilm „Zero“ mit deutschen Untertiteln sehen wird, während nebenan die andere Hälfte das gleiche Programm mit englischen Verständnishilfen vorlieb nimmt. Gelöst lauscht er den warmen Worten von Kino-Chef Gerhard Groß, um selbst anschließend stolz von der „größten Präsentation polnischen Films im Ausland“ zu berichten. In den Tagen zwischen dem 14. und dem 20. April wolle „das polnische Kino versuchen tief in die polnische Seele zu schauen„.

Schon der erste Blick, der durch die Augen von „Zero„-Regisseur Pawel Borowski, offenbart Eindrücke dieses neuen, post-sozialistischen Polens, in dem die aktuelle Generation von Filmemachern aufwächst, die sich anschickt, in die Fußstapfen von Granden wie Polanski, Kieslowski oder Wajda zu wachsen.
Der 38-jährige Borowski steht als Vertreter dieser Generation mit seinem Debütfilm vor dem Berliner Publikum. Er zeigt sich vor der Premiere seines Dramas wortkarg und will nicht schon vor Filmbeginn über sein Werk sprechen und wünscht stattdessen nur kurz angebunden „gute Unterhaltung„, ehe er sich ins Dunkel der Hackeschen Höfe Kinos verabschiedet.

Zero“ zeigt, wie weitreichend manche kleine Entscheidung die Leben einander völlig unbekannter Personen beeinträchtigt. Alles hängt mit Allem zusammen. Statt die herunter gepurzelten Tabletten aufzusammeln greift der Manager nach dem nervös klingelnden Telefon und setzt damit eine fatale Kettenreaktion in Gang. Leider dreht Borowskis Domino einige Pirouetten zu viel, hinterlässt zu viele offene Enden, die der der Regisseur eilig wieder miteinander verknüpfen muss, um aus der Nummer zielsicher heraus zu finden. Am Ende bleibt die nette urbane Vision eines Polen, dessen Bewohner sich in modernem Stahl und Glas genau so zurechtfinden müssen, wie einst im mausgrauen Beton, der noch überall hervorlugt. Toll fotografiert und temporeich, aber  trotz all des angedeuteten Talents am Ende nicht vollkommen überzeugend.

Filmszene: "Venedig"

Filmszene: "Venedig"

Überhaupt sei die bemerkenswerte Kameraarbeit dieser Vertreter des neuen polnischen Kinos erwähnt. Selbst in der albernen Vampir-KlamotteWiegenlied“ von Juliusz Machulski scheitert der Streifen nicht am Visuellen, sondern an der hanebüchenen Story. Ganz anders der ergreifende „Venedig“ von Jan Jakub Kolski: In den faszinierenden Bilderwelten Arthur Reinharts, kämpfen Kinder mit der „Stärke der Träume, die man als Kind in sich trägt„, wie Reinhart die Kernidee hinter dem Drama umschreibt, gegen die bittere Kriegsrealität. Während Polen nach 1939 immer tiefer in den Zweiten Weltkrieg gerät, erschafft der kleine Marek im überschwemmten Keller der Tante sein eigenes kleines Venedig und lässt so seinen Traum aufleben. Einen Traum, in den bald auch die Erwachsenen um ihn herum entfliehen, während die Realität immer weniger Hoffnung verspricht. Herausragend.

Ebenfalls äußerst bemerkenswert: „Mutter Teresa und die Katzen“ das Spielfilmdebüt von Pawel Sala, dass das renommierte FilmFestival Cottbus bei filmPolska präsentierte. Auf realen Begebenheiten beruhend, blickt das Drama um die beiden Teenager Artur und Marcin, die die eigene Mutter grausam ermordeten, immer weiter in deren erst nahe und später immer weiter zurückliegende Vergangenheit. Über das Motiv oder die Beweggründe für die ungeheuerliche Tat an der allseits geschätzten Mutter, die selbst jeder Straßenkatze eine neues Heim bot, spekuliert Sala nicht und sammelt stattdessen nur wage Momente, die die Kinder beeinflusst haben könnten. Vor allem der charismatische Mateusz Kosciukiewicz, der den Artur spielt, drückt dem Familiendrama seinen Stempel auf und erschafft ein perfides Monster mit Engelsgesicht.

Nach den dramatischen Ereignissen im letzten Jahr, als kurz vor Beginn von filmPolksa die Maschine mit den wichtigsten Köpfen der polnischen Regierung um das Brüderpaar Kaczynski verunglückte und niemand nach Feiern zumute war, bekam nun die polnische Filmkunst wieder einen adäquaten Rahmen. Die vielen Zuschauer, nicht nur aus der riesigen polnischen Gemeinde Berlins, erlebten einen gelungenen Ausblick ins Jetzt und vor allem auf eine viel versprechende Zukunft des polnischen Kinos.

Denis Demmerle