Spuren eines Dritten Kinos
Unter dem Begriff des Dritten Kinos werden gemeinhin jene vielfältigen Filmkulturen der 1960er Jahre kumuliert, die im Umfeld der Befreiungskämpfe in Lateinamerika, Afrika und Asien entstanden. Eine Filmkultur, die auch als Gegenentwurf zur materialistisch ausgerichteten Unterhaltungsbranche Hollywoods verstanden wurde. Die Filmreihe „Spuren eines Ditten Kinos„, 1. bis 29. Juni im Zeughauskino, sondiert die verschlungenen Pfade, über die das heutige Weltkino mit dem historischen Dritten Kino in Verbindung steht und setzt damit die Filmreihe „Revolutionen aus dem Off“ fort , die schon im vergangenen Jahr einige Strömungen vorgestellt hat. Gezeigt werden aktuelle Spiel- und Dokumentarfilmen aus China, Philippinen, Brasilien, Nigeria und Algerien.
Präsentiert werden fünf Close-ups auf das zeitgenössische postkoloniale Filmschaffen. Der neue chinesische Dokumentarfilm gibt jenen eine Stimme, die bislang keine hatten: Wanderarbeiter und -arbeiterinnen, Bauern und Bäuerinnen, Opfer des industriellen Wandels sind nicht länger Objekte ethnografischer Studien, sondern werden zu Subjekten ihrer eigenen Lebensgeschichte. Das unabhängige philippinische Kino, dessen Ästhetik eng mit den Möglichkeiten digitaler Filmtechnik verbunden ist, entwickelt radikale Politiken des Alltags und setzt sich gleichzeitig mit der problematischen kolonialen und postkolonialen Geschichte seines Landes auseinander.
Die neue Welle des brasilianischen Films, die im Fokus des dritten Close-up steht, entdeckt insbesondere die Armenviertel der Großstädte, die Favelas, immer wieder für sich und sucht in ihnen nach einem neuen gesamtgesellschaftlichen Selbstverständnis. Das Kino maghrebinischer Migrantinnen und Migranten in Frankreich, das Cinéma beur, wurde in den 1990er Jahren neu definiert. Während frühe Werke des Regisseurs Mehdi Charefs (Le Thé au harem d’Archimède) das Leben jenseits der französischen Mehrheitsgesellschaft in den Blick rückten, beschäftigen sich die Filme der Gegenwart mit den nach wie vor ungelösten Konflikten, die sich aus dieser unveränderten Außenseiterposition ergeben.
Im letzten Close-up Nollywood, wie die nigerianische Videofilmindustrie auch genannt wird, erfüllt sich der lang gehegte Wunsch nach einer wirtschaftlich unabhängigen Filmproduktion von Afrikanern für Afrikaner. Ein Wunsch, der in einigen Filmen auch mit einem politischen Bewusstsein einhergeht, das an antikoloniale Kinotraditionen Afrikas oder Südamerikas anschließt. Mehr zum Thema im spannenden Beitrag „Tausend Dämonen: Über die europäische Rezeption Nollywoods“ von Nikolaus Perneczky im blog The Canine Condition.
Spuren eines Dritten Kinos, 1. bis 29. Juni, Zeughauskino, www.spureneinesdrittenkinos.net