Cinemaviv: Alltag in Israel


Filmszene: "Diplomat"

Alltag – Sorgen, Glück, Verzweiflung, Arbeit und auch Fußball. Die Summe an Leben wird in der medialen Welt selten in seiner Fülle und Vielfalt gezeigt. Spricht man über Israel, reduziert sich das projizierte Bild des Landes meist auf den historischen bzw. politischen Kontext. Dass Israel aber nicht erst in den letzten Jahren ein durchaus vielschichtiges Filmschaffen besitzt, dringt nur zu selten in das Bewußtsein der Öffentlichkeit.

Es ist darum nicht verwunderlich, dass sich die drei Kuratoren des ersten israelischen Filmfestivals Cinemaviv (10. bis 12. Oktober) Bella Zchwiraschwili, Adi Goldman und Amir Jaakow Goldman bewußt mit politischen Inhalten zurückhalten und den Fokus auf das Alltägliche im Nahen Osten legen (siehe Interview). Etwa mit dem EpisodenfilmYear Zero“ (Joseph Pitchhadze). Ein Film, der das Leben einer Reihe in Israel lebender Menschen erzählt, ihre Geschichten nur lose verknüpft, aber zu einem komplexen Geflecht verwebt, das die Vielfalt an Lebensentwürfen im jüdischen Staat dokumentiert. Die allein erziehende Mutter Anna hat ihren Job verloren. In ihrer Not prostituiert sie sich. Dabei verliebt sie sich in Matti. Wohnungsmakler Ruven fühlt sich mit über 40 zu alt, um noch einmal Vater zu werden. Vor Aufregung über seine missliche Lage, überfährt er einen Blindenhund. Radiotechniker Kagan steckt in einer Zwickmühle. Sein neuer Chef will eine Sendung über Kagans verstorbenen Vater, den Gründer der israelischen Punkmusikszene, absetzen lassen.

Filmszene: "Lost Islands"

Zusammen mit „Year Zero“ werden fünf weitere Filme vom 10. Oktober bis 12. Oktober im Filmtheater Die Kurbel gezeigt. Die Filme werden mit Englischer Untertitelung in der Originalsprache Hebräisch aufgeführt. Eröffnungsfilm der zweiten Ausgabe des Filmfestivals ist „Lost Islands„. Regisseur Reshef Levi erzählt darin die Geschichte einer Familie, die glücklich zusammen lebt, bis sie von einem Geheimnis aus der Bahn geworfen wird. „Vasermil“ von Regisseur Mushon Salmona porträtiert das trostlose Leben dreier Teenager, die in dem multiethnischen Armenviertel von Beer Scheva am Rande des Gazastreifens aufwachsen. Salmonas Milieustudie aus dem Jahr 2007 ist sein erster Spielfilm und gewann auf dem Jerusalem Film Festival 2007 überraschend den Hauptpreis. In dem Film „Goyband“ (Christopher Grimm) trauert der ehemalige Boyband-Star Bobby vergangenen Tagen hinterher. Arbeitslos und verzweifelt, bekommt er den Job zur Eröffnung des weltweit ersten orthodox-koscheren Hotels. Aber was hat ein ehemaliger Popstar gemeinsam mit der jüdisch-orthodoxen Welt? Erst einmal nichts.

Der Dokumentarfilm „Pickles“ (Dalid Kimor) begleitet acht israelisch-arabische Witwen bei der Gründung ihres Unternehmens, einem Gurkenanbau und -handel. Fatma, eine Witwe mit elf Kindern, ist die einzige die Auto fahren kann – so wird sie mit dem Vertrieb beauftragt. Samira, die hebräisch spricht, wird Geschäftsführerin. Die Frauen, die sich vorher nicht kannten, kämpfen sich nun gemeinsam durch den Businessdschungel. Sie finden in der Gruppe Rückhalt, Freundschaft und im Unternehmen ihr zweites Heim. „Diplomat„, ein Dokumentarfilm von Dana Goren, stellt dagegen ein Hotel in den Mittelpunkt. Einst schönste fünf Sterne Herberge Jerusalems, ist es heute Zufluchtsort für über 600 Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion.

Martin Daßinnies

Cinemaviv 10. bis 12. Oktober 2010, Die Kurbel (Giesebrechtstraße 4), Eintritt: 6,50/5 Euro