Wir spüren seismografisch Trends auf



Das Baltic Film Festival Berlin präsentiert jährlich die Filmkunst von Litauen, Estland und Lettland in Berlin. Kurz vor Beginn der sechsten Ausgabe trafen wir Festivalleiterin Gudrun Holz zum Gespräch über die Filmregion Baltikum, das Festival und das Berliner Festival-Netzwerk Festiwelt.

Gudrun, was ist das Besondere am Baltikum als Filmregion?
Gudrun Holz:
Im Gegensatz zu anderen postsozialistischen Staaten wie Polen oder Ungarn waren die Baltischen Staaten bis zur wiedererlangten Unabhängigkeit nur für eine kurze Zeit um 1918 Nationalstaaten. In Estland, Lettland und Litauen trafen unterschiedlichste Einflüsse aufeinander, skaninavische, russische, deutsche, sowjetische. Davon abgesehen haben die Länder jeweils selbst eine starke eigene kulturelle Prägung. Das heißt die Frage nach kultureller Selbstbestimmung ist ein virulentes Thema und dies ist auch in den aktuellen Filmen sichtbar. Es kündigt sich inzwischen speziell in Estland eine Art Kaurismäki-Effekt an, d.h. neue Filmemacher sind auf Festivals, auch grossen internationalen wie Sundance oder Venedig erfolgreich und bringen damit die Baltischen Produktionen zurück auf die Film-Landkarte. Hier ist in den nächsten Jahren noch einiges zu erwarten, soviel ist sicher.

Im Programm finden sich dieses Jahr eine Reihe Dokus. Gibt es einen Themenschwerpunkt?
Wir als spezialisiertes Festival spüren seismografisch die Trends in der Baltischen Filmproduktion auf. Die als Schwerpunkt in diesem Jahr vertretenen Dokumentarfilme wie „DISCO AND ATOMIC WAR“ – unser Eröffnungsfilm – werfen einen souveränen Blick auf historische Themen und verknüpfen dies, gegebenefalls auch ironisch, mit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation in den Baltischen Staaten.

Auf welche Filme sollten die Zuschauer besonders achten?
Empfehlen kann ich natürlich unseren Eröffnungsfilm „DISCO AND ATOMIC WAR“ (22.10., 19.30h) von Jaak Kilmi, der ironisch den Einfluss des Finnischen Fernsehens auf u.a. die Popkultur im sowjetischen Estland unterhaltsam im Dokumentarfilmformat verpackt. Der charmante Debütspielfilm „A WISH TREE“ (22.10., 22.00h) von Liina Paakspuu ist ebenfalls sehr zu empfehlen. Zwei junge Frauen, die in einer baltischen Metropole zwischen Geldverdienen, Subkultur und Party sogar fast noch ein Happy End hinbekommen. Und natürlich das Animationsfilm-Special (23.10., 22.00h) mit sechs Meisterwerken des Baltischen Animationsfilms.

Was macht für dich ein gelungenes Filmfestival aus?
Gute Filme und ein entusiastisches Publikum.

Du engagierst dich mit anderen Festivalmachern seit einem Jahr im Filmfestival-Netzwerk Festiwelt. Was konnte bisher im Zusammenspiel der Festivals verbessert werden?
Wir haben in diesem Jahr erreicht, daß so etwas wie eine Vision gemeinsamer Interessen, und der weiteren Stärkung von Berlin als Filmfestivalhauptstadt entstanden ist. Um die zehn Festivals arbeiten gemeinsam daran, dies mit konkreten Aktionen wie dem Festwelt-Berlinale-Empfang und weiteren gemeinsamen Auftritten zu realisieren.

Die Fragen stellte Denis Demmerle