Interfilm-Festivalbericht: Mehr Kurzfilm geht nicht
Um die Dimension der unglaublichen interfilm-Vielfalt der vergangenen Tage zu beschreiben, bleibt wohl selbst dem tapfersten Kurzfilm-Fan nur die Statistik: Aus insgesamt 6000 eingereichten Filmen wurden 450 Kurzfilme aus 58 Ländern ausgewählt und komprimiert in Wettbewerben, Spezialprogrammen und Länderschwerpunkten gezeigt. Rund 16.000 Zuschauern kamen zum diesjährigen Event, rund 500 akkreditierte Gäste tummelten sich, darunter 123 internationale und 126 deutsche Filmemacher. Rekorde über Rekorde also. Eine echte Leistungsschau. Leiter Heinz Hermanns und sein Team dürfen zufrieden auf das Geleistete zurückblicken.
Und selbst die etwas schwierige Festivaleröffnung wurde meisterlich von den Organisatoren gelöst. Was tun, wenn zwei Tage vor dem großen Event der Moderator abhanden kommt? Man greift auf das zurück, was man hat. In diesem Fall übernahmen Leiter Heinz Hermanns sowie die Organisatoren Matthias Groll und Macherin Stephanie Hofmaier den schwierigen Part auf der Bühne. Groll mit auffällig goldig blinkender Krawatte und überzeugendem Dinglish, Hermanns mit virtuosen Qualitäten am Piano und Hofmaier mit elegantem Charme sorgten für amüsante Unterhaltung. Sie stimmten mit einer Auswahl an Kurzfilmen, eröffnet wurde das Festival von Verena Fels animierter Komödie „Mobile„, der wenige Tage später als bester Kurzfilm bei KUKI prämiert wurde, auf das ein, was in den nächsten Tagen folgen würde. Die Volksbühne war an diesem Abend mehr als voll, das Publikum gut gelaunt und die geplanten Redner, oft der schwierigste Part für den Zuschauer, zu Teilen nicht anwesend. Senatskanzlei-Chefin Barbara Kisseler fiel krankheitsbedingt aus und so war es am neuen Medienboard-Geschäftsführers Elmar Giglinger, dem Spaß keinen Abbruch zu tun. Giglinger gab sich betont locker, fasste sich kurz und ließ Raum für das Wesentliche: den Kurzfilm.
Schon vorab konnte das Festivals mit oscarnominierten Filmen und Bären-Gewinnern auftrumpfen, um am Sonntagabend in einem Verleihungsmarathon selbst besondere Leistungen zu honorieren. Den Hauptpreis im Internationalen Wettbewerb vergab die Jury (Yann Jouette, Mick Hannigan, Julia Bendler, Lei Ying) an „A Lost and Found Box of Human Sensation„. Die Hochglanz-Produktion, die sich in diesem Jahr auch schon den First Steps Award gesichert hatte, trumpfe unter anderem mit der Stimme von Hollywood-Star Joseph Fiennes auf. Die Regisseure Stefan Leuchtenberg und Martin Wallner erzählen in poetisch animierten Bildern von der Trauerarbeit eines Jungen nach dem Tod des Vaters. Sie dürfen sich über 6.000 Euro Preisgeld vom Medienboard Berlin-Brandenburg freuen.
Weiter bedachten die Juroren „Viliam“ von Veronika Obertova als Beste Animation und „I Love Luci“ von Colin Kennedy als Besten Spielfilm. Trotz des Sieges eines deutschen Beitrags im internationalen Wettbewerb gab es natürlich auch wieder den Deutschen Wettbewerb. Die Jury (Alice Dwyer, Sven Taddicken, Claudia Loewe, Zsolt Bács) entschied sich für „Gisberta“ von Lisa Violetta Gaß. Ein weiterer Festival-Stammgast, der unter anderem auch bei First Steps und dem Saarbrücker Max-Ophüls nominiert war. Der Film erzählt vom harten Alltag in einem Jungenheim, in dem sich der kleine Elischa behaupten muss. In seiner Erzieherin Gisberta findet er eine Freundin, doch dadurch verkompliziert sich sein Leben noch weiter…
Nicht nur Juroren bestimmten über Wohl und Wehe der Filme. Im Publikumswettbewerb Dokumentarfilm waren die Zuschauer aufgerufen und entschieden sich für „Teheran Kitchen“ von Regisseurin Pola Schirin Beck. Insgesamt wurden bei interfilm in sechs Wettbewerben (u.a. der Viral Video Award, siehe „Kurz und gut“) Preise im Wert von 37.000 Euro vergeben.
In dem überaus gelungenen, neu eingeführten Short Friday, der die gesamte Volksbühne in Besitz nahm, liefen Projektpräsentationen, Screenings, ein Konzert der Berliner Band Formelwesen und die Preisverleihung des Viral Video Awards teils parallel. Highlight des Abends aber waren die Festival-Party und die Kult-Veranstaltung eject. Im rappelvollen großen Saal der Volksbühne stand der abwegige Film auf dem Programm und dem stand sein Publikum in nichts nach. Maskiert mit Papp-Tiermasken und ausgerüstet mit lärmenden Tröten und Luftballons, zog zu nächtlicher Stunde ein Hauch von Anarchie ein, der nicht vor der Leinwand halt machte. Nach 21 Filmen in vier Blöcken entschied sich das Publikum für den finnischen Beitrag „Benigni“ von den Regisseuren Pinja Partanen, Jasmiini Ottelin und Elli Vuorinen, der sich damit auch gegen den großartigen „L´Homme à la Gordini“ der Franzosen Kirk Hendry und Jean-Christophe Lie durchsetzte. Die Finnen überzeugten die johlende Menge mit ihrer Geschichte über einen Einsamen, der in Form eines aus ihm erwachsenden Tumors einen neuen Freund findet…
shorts attack! zeigt die Highlights
Alle, die sich nun darüber ärgern, zu wenig Zeit in ihrem Leben mit Kurzfilmen zu füllen, können aufatmen. In der monatlichen Kurzfilm-Reihe „shorts attack!“ wartet am kommenden Freitag, den 26. November ab 22:15 Uhr im Babylon:Mitte ein Überraschungs-Programm mit Highlights des gerade zu Ende gegangenen Festivals. Nur zwei Tage später, am Sonntag, den 28. November um 20 Uhr, stoppt „shorts Attack!“ dann auch noch im Passage Kino (Karl-Marx-Str. 131, Neukölln)
Nicht vergessen werden darf natürlich das 3. Internationale Kinder- und Jugendkurzfilmfestival Berlin , kurz KUKI, das in diesem Jahr 2600 kleine wie große Cineasten in die Kinosäle des Filmtheaters am Friedrichshain lockte. Davon verzeichneten allein die Schulprogramme 1100 Gäste.
„Kurze Kunst mit langem Atem„, einen weiteren Festivalbericht von Matthias Wannhoff, findet ihr bei den Kollegen von schnitt.de
Denis Demmerle, Martin Daßinnies