Festivalbericht: Première Brasil


Filmszene: "Sonhos Roubados"

Filmszene: "Sonhos Roubados"

Die Themen Sexualität und Rollenverständnis nahmen auf dem Festival ohnehin viel Raum ein. So zeigte Premiere Brasil gleich zwei Filme zum Thema Prostitution: „69- Praca Da Luz“ (Carolina Markowicz, Joana Galvão) porträtiert fünf ältere Damen, die das Gros ihres Lebens der käuflichen Liebe gewidmet haben. „Sonhos Roubados“ begleitet drei junge Frauen auf ihren Wegen durch die Straßen. Prostitution wird in beiden Filmen als Aufhänger aber nicht als Gegenstand genutzt. Im Zentrum stehen sowohl in der Dokumentation „69- Praca Da Luz“  als auch im Spielfilm „Sonhos Roubados“ (Sandra Werneck) die Protagonistinnen, alle ausgestattet mit einer beachtlichen Portion Humor und Lebendigkeit. Der Kurzfilm „Café Com Leite“ von Daniel Ribeiro beginnt mit einer unspektakulären Bettsequenz, in der ein schwules Paar über seine zukünftige Wohnsituation philosophiert. Irritationsmoment eins: Auf mysteriöse Art und Weise versterben die Eltern des Protagonisten Danielos. Irritationsmoment zwei: Ein kleiner Junge bleibt verstört in der elterlichen Wohnung zurück. Irritationsmoment drei: Allzweckwaffe Mikrowelle. Irritationsmoment vier: Das Paar trennt sich und der perfekte Kakao, so wie einst die Mutter ihn kredenzte, ist endlich wieder auf dem Frühstückstisch. Die Überwindung eines Verlusts, dargestellt mithilfe von Küchengeräten, ist eine raffinierte Idee und lässt selbst das eigentliche Thema der Homosexualität altbacken erscheinen.

Filmszene: "Reidy, A Construcao Da Utopia"

Filmszene: "Reidy, A Construcao Da Utopia"

Alles andere als antiquiert ist hingegen die brasilianische Architektur. Die Koordinatoren des Festivals bedachten diese Tatsache mit drei Dokumentationen („Oscar Niemeyer, A Vida É Um Sopro„; „O Risco: Lúcio Costa e a Utopia Moderna“ und „Reidy, A Construcao Da Utopia„) und einem Panel in Anwesenheit der Regisseure sowie dem in Berlin und Sao Paulo aktiven Architekten Pedro Moreira. Die brasilianische Hauptstadt Brasilia ist als kurioses Plankonstrukt der 50er Jahre mit den Namen Niemeyer und Costa eng verwoben. Und auch in Berlin, wo sich heute viele international tätige Architekten tummeln, finden sich Niemeyer-Bauten, wie etwa im Hansaviertel. Kurz: Es besteht ein Interesse an einer Verneigung des Films vor der Architektur und umgekehrt. So bot sich im Saal des HKWs eine angenehme Melange von Schöngeistern verschiedenster Schulen. „Oscar Niemeyer, A Vida É Um Sopro“ beispielsweise verbindet politische Grundgedanken Niemeyers und Costas zu einem gesamt-architektonischen Konzept von Gemeinwesen, während Regisseur Fabiano Maciel dieses in filmische Bilder transkribiert. Und am Ende stehen, fragt man den 103-jährigen Niemeyer nach dem eigentlichen Sinn seiner Präsenz auf Erden, dann doch wieder die Frauen. Das dreckige Lachen überträgt sich von der Leinwand in den Kinosaal. Mit einer böswilligen Grundhaltung könnte man an diesem Punkt eventuell ein wenig zu viel Copacabana unterstellen, doch in Berlin fahren mittlerweile kaum noch Verkehrsmittel – der südamerikanische Optimismus bewegt zwar keine S-Bahnen, macht den Schnee aber wieder zu dem, was er ist: Gefrorenes Wasser.

Carolin Weidner

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