Première Brasil: Ilda Santiago über den Film aus Brasilien


Festivaldirektorin Ilda Santiago

Festivaldirektorin Ilda Santiago

Zum zweiten Mal findet vom 8. bis 19. Dezember das brasilianische Filmfestival Première Brasil im Haus der Kulturen der Welt mit den interessantesten und erfolgreichsten Neuproduktionen aus Brasilien statt. Festivaldirektorin Ilda Santiago sprach mit uns über die diesjährige Auswahl und über die Wandlung, die der brasiliansiche Film in den letzten Jahren vollzogen hat.

Frau Santiago, warum haben sie sich für den Beruf der Festivaldirektorin entschieden und nicht etwa für den der Filmemacherin?
Ilda Santiago: Diese Frage wird mir oft gestellt. Ich glaube das entscheidet man letztendlich gar nicht selbst. In gewisser Weise sind wird stattdessen auserwählt, etwas zu tun. Ich war Teil der Kinoszene seit meinen frühen Teenager-Jahren. Und irgendwann, ich war nicht viel älter als 20, fand ich mich wieder, wie ich ein Festival in Rio organisierte. Die Arbeit erlaubt es mir, hunderte von Filmen zu sehen, in Liebe mit den vielen verschiedenen Geschichten, Filmemacher und Länder zu fallen. Und dann jedes Jahr aufs Neue hunderte von Filmen zu schauen. Die Arbeit eines Filmemachers ist bewundernswert, da er nur ein Projekt für viele Jahre mit voller Hingabe und Leidenschaft liebt. Das ist absolut großartig. Ein Festival ermöglicht es mir, diese Arbeiten einem möglichst breiten Publikum zu offenbaren. Diesen Aspekt mag ich vor allen anderen. Es macht mich schlicht glücklich, Teil des Glücks von anderen zu sein.

Die Organisation eines so großen Festivals ist sicher ein anstrengender Prozess, es muss eine Art bestimmten Nervenkitzels geben, der für den Aufwand entschädigt.
Ilda Santiago: Definitiv beginnt jede Festivalausgabe mit der gleichen Begeisterung, ein unglaubliches Gefühl. Für einen Film zu kämpfen, die Diskussionen mit den Filmemachern zu führen, sie in das Festival zu integrieren, die Leidenschaft mit dem Publikum zu teilen, das ist ein wirklicher Nervenkitzel. Es ist anstrengend. Das ist richtig. Am Ende fragt man sich immer, ob man diese Energie noch für das folgende Jahr haben wird. Aber das gehört eben dazu.

Sie präsentieren nun zum zweiten Mal in Berlin eine Filmauswahl ihres Festivals. Warum haben sie sich für Berlin entschieden?
Ilda Santiago: Wir organisieren schon eine wunderbare Veranstaltung im MoMA in New York. Als wir dort vor acht Jahren starteten, dachten wir, es wäre nur für ein Jahr, aber es ging weiter, da es ein großes Interesse an brasilianischen Filmen gab. Das zweite Jahr in Berlin, ich glaube das heißt, wir wollen bleiben. Wir haben hier im letzten Jahr ein warmherziges und vielfältiges Publikum erlebt. Unnötig zu sagen, dass Berlin in diesen Tage eine der aufregendsten Städte in Europa ist. Aber die Wahrheit ist auch, dass eine solche Veranstaltung in großem Maße abhängig ist von den lokalen Partnern, mit denen man arbeitet. Wir hätten das Festival nicht ohne die Arbeit der Leute vom Haus der Kulturen der Welt geschafft, die die Idee zum Festival quasi zu ihrer eigenen gemacht haben. Es ist immer sehr wichtig, einen Ort zu finden, der als ernsthaft und prestigeträchtig wahrgenommen wird. Und es ist wichtig, dass das Publikum Vertrauen in die Organisation eines Events besitzt. Letztlich ist es auch das, was das Publikum anlockt, gerade wenn es ein unbekanntes Kino wie das brasilianische zu entdecken gilt. Zudem haben wir ein besonderes Interesse an einer Zusammenarbeit mit Deutschland. Es gibt neue Koproduktion zwischen beiden Ländern und viele Filmemacher engagieren sich heute in gemeinsamen Projekten.

Ein Schwerpunkt der diesjährigen Auswahl ist das Thema Architektur. Sie zeigen Dokumentationen, die sie sich mit der Hauptstadt ihres Landes auseinandersetzen.
Ilda Santiago: 2010 feiern wir den 50. Jahrestag von Brasilia. Die Planung und Erbauung der Stadt war Teil einer ganzen Welle vieler verschiedener Ereignisse in Brasilien in den 50er und 60er Jahren. Die Zeit hat das Gesicht des Landes nachhaltig verändert. Architektur war Teil dieser Dynamik. Unser Programm soll zeigen, dass das heutige Brasilien ein Resultat der Ideen von damals ist. Mit den Filmen schaut man durch die Augen von drei Architekten, die an den grundlegenden Planungen und Ideen für das Land beteiligt waren.

Sie zeigen auch Sandra Wernecks Film „Stolen Dreams„. Er erzählt die Geschichte dreier junger Mädchen, die in einem Armenviertel am Rande Rio de Janeiros aufwachsen. Ist Armut ein typisches Thema, mit dem sich brasilianische Filmemacher auseinandersetzen?
Ilda Santiago: Das ist eines von ihnen, absolut. Aber das Ringen um ein Leben ist ein wesentlicher Bestandteil des Kinos in allen Teilen der Welt. Film ist immer auch ein Abbild der Welt, in der wir leben. Ich denke daher nicht, dass es ist ein typisches Thema für brasilianische Filmemacher ist. Aber es wird zunehmend wichtiger für uns, auf unsere Realität zu schauen. So viel sehen wie möglich, wenn wir etwas verändern wollen.

Gibt es denn ein bestimmtes Thema, das dem brasilianischen Film eigen ist? In Deutschland sieht man zumeist Filme, die sich mit sozialen Problemen, etwa dem Leben in Favelas, Politik oder Armut auseinandersetzen.
Ilda Santiago: Brasilianischen Filmemacher denken nicht so viel über den internationalen Markt nach. Im Guten wie im Schlechten. Unsere Filme sind mit wenigen Ausnahmen im Ausland selten kommerziell erfolgreich. Unser Kino beschäftigt sich in vielerlei Hinsicht mit der Realität unseres Landes. Soziale Probleme sind Teil unseres täglichen Lebens. Aber es gibt ebenso viele Filme, die Leidenschaft ausdrücken und sich mit dem lebhaften und intensiven Wunsch nach Leben auseinandersetzen. Ich würde gerne mehr Filme sehen, die kommerziell besser vermarktet werden. Das würde auch zeigen, wie vielfältig unsere Filme sind.

Filme wie „Central Station„, „City of God“ oder „Tropa de Elite“ waren sehr erfolgreich auf dem internationalen Filmmarkt. Haben diese Arbeiten den brasilianischen Film nachhaltig verändert?
Ilda Santiago: Was diese Filme für das brasilianische Kino geleistet haben, ist großartig. Sie haben den Blick auf unsere Filmwelt gelenkt. Leider prägen ihre Geschichten aber auch das Bild des Landes. Das internationale Publikum glaubt, dass das, was man dort sieht, typisch ist für Brasilien, aber das ist natürlich nicht so. Das weiß jeder, der unser Land schon einmal bereist hat. Aber dennoch, wenn ein brasilianischer Film in vielen Ländern gezeigt wird, öffnet er Türen für neue Talente und ihre Geschichten.

Gibt es den unter diesen Talenten viele unabhängige Filmemacher, bzw. gibt es denn staatliche Subventionsprogramme, die deren Arbeit unterstützen?
Ilda Santiago: Wir versuchen gerade eine „Industrie“, die sowohl den lokalen Blockbuster als auch den Autorenfilm umfasst, aufzubauen. Da gibt es bereits eine breite Palette von Filmen. Im Jahr werden mittlerweile über 100 Filme in Brasilien produziert, wovon rund 80 im Kino ausgewertet werden. Die Regierung und die Filmindustrie haben neue Mechanismen geschaffen. Filme entstehen nicht nur durch die Gelder der Vertriebsgesellschaften, auch private Firmen investieren zunehmend. Ein sehr spannender Moment – es gibt viele neue Talente und ein großes Ringen darum, Filme auf die Leinwände zu bekommen. Wir sitzen da aber alle im gleichen Boot, denn das ist nichts, was nur in unserem Land passiert. Es ist toll anzuschauen, wie diese Industrie hier mehr und mehr Gestalt annimmt. Jetzt müssen wir uns noch stärker auf den internationalen Markt konzentrieren.

Die Fragen stellte Martin Daßinnies