Festivalbericht: 1. Musik-Film-Marathon


Filmszene: "Poesie des Geräusches"

Filmszene: "Poesie des Geräusches"

Ein Plädoyer

Die schönste Frühjahreswoche haben die Organisatoren Helma Schleif und Andreas Malliaris ausgewählt, um den ersten  Musik-Film-Marathon in das Orbit der Berliner Filmfestivals zu schießen. Der Lenz ist da, der Lenz ist da und hat auch unsere  graue Hauptstadt erreicht. Vor der Charlottenburger Kurbel wird das Bier auf den hölzernen Zierbänken eingenommen, die Nächte sind lau, das alte Berlin ist grün und die Lettern des Kinos beleuchten den Meyerinckplatz. Eine Szenerie, die fast zu idyllisch wirkt, denn seicht ist das gezeigte Programm nicht – und schon gar nicht geläufig. Vom 28. März bis zum 10. April stand die Giesebrechtstraße ganz im Zeichen des musikalischen Films. Die versprochenen Raritäten ergaben, kombiniert mit dem ein oder anderen Genre-Klassiker, ein wunderbares Ganzes, welches es vermochte, Perspektiven neu zu ordnen und Verschollenes zu bergen. So verlässt der griechische Komponist Mikis Theodorakis im gleichnamigen Dokumentarfilm von Asteris Koutoulas und Klaus Salge den trunkenen  Schatten der „Zorba“. Dem Zuschauer bietet sich ein gewaltiges Gesamtwerk, nach welchem Theodorakis, mit nun mehr über achtzig Jahren, die Kaffeetasse hebt und sagt „Ich ging soweit ich gehen konnte. Weiter konnte ich eben nicht.„.

Es ist diese Wucht der Zeit, des Vergangenen, die einem immer wieder im Laufe des Musik-Film-Marathons in den Kinosessel drückt. Falten, Schwarz-Weiß, schlechte Aufnahmen mit alten Kameras, Footage-Material und knisternde Tonaufnahmen. Hinter jedem Wackelbild aber steht ein Motor, eine Kraft – es ist der Traum, die Idee und nicht zuletzt die Leidenschaft, beides zu verwirklichen. „Die Poesie des Geräusches“ und „Einklang – 2 Brüder. Die Welt von Bernard & François Baschet“ (beide Ingo Rudloff) porträtieren die Gebrüder Baschet und ihr Schaffen um die Glasharfe Cistal. Ein Instrument, dessen Glasstäbe mit feuchten Fingern bespielt wird, während seine Klänge über Schall und durch futuristische, metallene Klangkörper transportiert werden – hörbar beispielsweise in „Solaris“ von Steven Soderbergh.

Donald Ayler (Trompete); Albert Ayler, Saxophone, Foto: Larry Fink

Donald Ayler (Trompete); Albert Ayler, Saxophone, Foto: Larry Fink

Und noch eine Gemeinsamkeit eint die in den Filmen gezeigten Protagonisten: Sie alle haben ihr Leben der Ästhetik, der Macht und Wirkung dieser, verschrieben. Ob Theodorakis, Bob Dylan in „Don’t Look Back“ (D. A. Pennebaker) oder die Jazz-Virtuosen Don Ellis („Electric Heart: Don Ellis. The Man, His Times, His Music„, John Vizzusi) und Albert Ayler („My Name Is Albert Ayler„, Kasper Collin). Die Musiker nutzen ihr Können, um Aussagen zu erzeugen. Theodorakis inmitten der gesellschaftlichen Unruhen Griechenlands, Dylan im Kampf gegen den bestehenden Konsens, Ellis und Ayler für die Schaffung neuer Klangwelten und als Verfechter für die Anerkennung neuer musikalischer Rezeptionsweisen. Wie eng die Verkettung jener Meinungserzeugung mit dem Zeitgeist verwoben ist, wird nicht nur in „Don’t Look Back“ (mit erregten Mädchen und angeregten Journalisten) auf Dylans England-Tournee 1965 deutlich. Der Film „House Of The Rising Punk“ (Christoph Dreher) visualisiert Verbindungen zwischen Musik und anderen Bereichen der Pop-Kultur, mischt diese mit Lifestyles, politischen und sozialen Strömungen, Kunst, Literatur und Mode. Der Musiker aus dem Schoße der Gesellschaft – der ihr zugleich subversiv in den selbigen kotzt, sie zum Umdenken und Hinterfragen zwingt. Wie individuell und mit welcher Konsequenz dies geschieht, bebilderte der Musik-Film-Marathon.

Don Ellis

Don Ellis

Dennoch lässt sich, trotz des äußerst kompetent kuratierten Programms, nicht verheimlichen, dass ein Debüt in den seltensten Fällen auf die verdiente Resonanz stößt. Vielleicht war das Wetter zu schön, die Abende bei Rotwein vorm Restaurant zu lauschig, als dass ein solch ambitioniertes Programm den erhofften Platzkampf im Kinosaal generieren könnte. Die Zukunft des Musikfilms ist kein pastelliges Landschaftsbild an den Wänden einer Zahnarztpraxis. In einem Panel, moderiert von Ex-SPEX-Chefredakteur Max Dax, zeichnen Autoren, Kritiker und Filmschaffende einen Caspar David Friedrich – der Musikfilm als brüchiges Segment inmitten einer ungewissen Gegend.

Wir blicken aber nicht weniger, oder vielleicht gerade deswegen, optimistisch auf den nächsten Musik-Film-Marathon im kommenden Jahr. Berlin braucht anspruchsvolle Festivals. Wenn Zigtausende Stunde um Stunde an den Ticketschaltern der Berlinale ausharren, spricht das tatsächlich keinesfalls für die Qualität eines Festivals. Ziel sollte es viel mehr sein, dem durch Alltag und Weltschmerz desillusionierten Zuschauer einen lohnenden Gang gen Niveau aufzuzeigen. Das freut dann alle: Filmschaffende, Verleiher, Veranstalter und nicht zuletzt das Publikum. Es muss nur einer machen. Der Musik-Film-Marathon beweist jenen Mut.

Carolin Weidner