Interview mit „Chaplin Complete“-Kurator Friedemann Beyer
Friedemann Beyer war von 2001 bis 2007 geschäftsführender Vorstand der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und verantwortete dort zahlreiche Restaurierungen und DVD-Veröffentlichungen deutscher Klassiker. Für das Babylon kuratierte er Filmreihen über Billy Wilder, die Coen-Brüder, Alfred Hitchcock und aktuell die Charlie Chaplin-Retrospektive. Wir sprachen mit ihm über die Entwicklung des Babylon, das neue Kinoerlebnis Stummfilm, finanzielle Hürden und digitale Filmkopien.
Das Babylon war bislang als Veranstalter von zahlreichen Filmfestivals bekannt. In diesem Jahr liefen bereits vier umfangreiche Filmreihen zum Werk von Regielegenden wie Billy Wilder, den Coen-Brüdern, Alfred Hitchcock und nun ein Klassiker wie Charlie Chaplin. Steht dahinter ein neues Ziel des Babylons?
Friedemann Beyer: Da sehe ich mich nicht ganz unschuldig. Timothy Grossmann (Geschäftsführer des Babylon, Anm. d. Red.) und ich arbeiten seit 2007 zusammen. Wir haben gemeinsam das große Lubitschfestival gemacht. Damals war ich noch im Vorstand der Murnau Stiftung, die diese Lubitschfilme auch verwaltet und die Rechte daran hält. Diese Zusammenarbeit hat sich dann 2010 intensiviert, da haben wir das Stummfilmfestival Berlin-Babylon aus der Taufe gehoben. Das hat damals erstaunlichen Widerhall gefunden, in der Presse wie auch in der Öffentlichkeit. Chaplin Complete ist jetzt die zweite Ausgabe des Stummfilmfestivals Berlin-Babylon, nur eben monothematisch. Es gibt hier also eine Kontinuität. Die Jährung seines Besuches vor 80 Jahren und zweite Ausgabe des Stummfilmfestivals waren eine Art äußerer Anlass. Chaplin ist einfach eine bekannte Größe. Und eine komplette Reihe seiner Filme mit Orchesterbegleitung ist so noch nicht zur Aufführung gekommen. Wir dachten, es wäre mal an der Zeit.
Es ist also ein neues Konzept?
Beyer: Ja, das soll natürlich so weitergehen. Es gibt viele kleine Festivals im Babylon, die werden allerdings immer von anderen Initiatoren durchgeführt. Wir wollten nun eigene Festivals gründen, die auf das Haus selber zugeschnitten sind. Und ich kann Ihnen schon verraten, dass wir im August eine Bud Spencer-Reihe vorhaben, wo die wichtigsten Klassiker mit Spencer und Terence Hill in einer Art Sommerkino gezeigt werden sollen.
Alice Stöver (Bündnis 90/ Die Grünen) kritisierte im Dezember ihren Zuschuss für die Retrospektive von 150.000 Euro durch den Hauptstadtkulturfonds. Sie argumentierte, dass dem Kino bereits jährlich 351.000 Euro zur Verfügung stünden, um derartige Reihen auf die Beine zu stellen. Was antworten Sie auf so einen Vorwurf?
Beyer: Zunächst mal bin ich nicht der Geschäftsführer. Das heißt, ich habe auch keine Etathoheit. Das entzieht sich weitgehend meiner Kenntnis. Ich bin ja nur Kurator. Aber: Diese 350.000 Euro für dieses Kino, das einen besonderen Aufwand immer braucht, allein durch die Größe dieses Saales, den Unterhalt, die beträchtliche Miete, die Personalkosten, reichen gerade um die Basiskosten zu decken. Die Bespielung dieses Hauses schafft Kosten, die durch diesen Zuschuss gerade mal nur gedeckt werden. Was darüber hinausgeht, muss eigenfinanziert werden. Wir hätten ein solches Projekt, wie Chaplin Complete niemals aus eigener Kraft stemmen können. Allein die Aufführungsrechte, die Musikerhonorare etc, das sind Größenordnungen, die einfach niemals zu leisten gewesen wären. Aber das Babylon hat eben auch gewisse Ansprüche. Die wollen wir weiterhin erfüllen, besonders weil dieses Festival eine Art Leuchtturm werden soll. Dafür ist diese Fördersumme nicht exorbitant.
Ist der Stummfilm denn wieder modern, erlebt er gar eine Renaissance?
Beyer: Unser Alttag ist durch sehr beliebige Bilder inflationiert, da gewinnt der Stummfilm als Kunstform wieder an Bedeutung und wirkt nicht mehr so altmodisch, wie man ihn ehemals wahrnahm. Er ist so ein Zwitter zwischen Theater, also Pantomime und auch Konzert, denn eben auch das Live-Erlebnis der Musik. Mal ganz abgesehen von der Magie der stummen Bilder, die eine ganz eigene Qualität haben. Und man kann den Stummfilm auch mit moderner Elektro-Musik ins Heute holen, wie wir 2010 schon auf dem Rosa-Luxemburg Platz gezeigt haben.