Interview mit „Chaplin Complete“-Kurator Friedemann Beyer


Charlie Chaplin

Charlie Chaplin

Chaplins Werk ist durch seine unnachahmliche Schaffenskraft und Produktivität geprägt. Wie viele Filme sind es eigentlich wirklich komplett? Und wie schwierig war es die Kopien zu bekommen?
Beyer: Es hat gewisse Ausfransungen. Er hat neben seinen Hauptwerken auch Filme für andere Regisseure gedreht, in denen er etwa nur in einer Cameo-Rolle zu sehen war. Bestes Beispiel „A Thief Catcher„, ein Film, der jetzt erst aufgetaucht ist. Da tritt Chaplin als Polizist auf, in einer kleinen Nebenrolle. Ist das jetzt ein Chaplin Film? Mit Sicherheit ist es keiner von ihm, sondern mit ihm. So steigert sich natürlich die Anzahl der Filme. Andere Filme hat er auch einfach nebenbei gedreht, z.B. ein besseres Homemovie,  das er als Hochzeitsgeschenk machte. Das sind natürlich Grenzgänger, die aber für Hardcorefans natürlich interessant sind. Bei den Kopien hat uns unser Hauptpartner, die Association Chaplin, unterstützt. Aber nur zum Hintergrund, das Gesamtwerk Chaplins wird seit über einem Jahrzehnt restauriert und teilweise rekonstruiert durch die Cineteca di Bologna. Von denen beziehen wir auch die Kopien, die wir jetzt zeigen. Wir bekommen zum Teil auch die Materialien vom  British Film Institute. Wir haben so eine gewisse Zweiteilung. Für die großen Abendveranstaltungen, die vertonten Langfilme haben wir immer Filmkopien. Wir haben aber auch, das gebe ich unumwunden zu, digitale Träger, gerade für die frühen Sachen, die man so gar nicht besser bekommen kann. Dieser Entwicklung können sich auch die Kinematheken schon nicht mehr entziehen. Es gibt einfach keine Kopien in einem halbwegs annehmbaren Zustand mehr. Oder sie sind exorbitant teuer und man kann sie sich nicht leisten. Das ist dann vielleicht für voll finanzierte Kinematheken möglich, wenn man 500 Euro für die Kopie bezahlt, plus 200 Euro Transportgebühren. Und da reden wir nur über die Kopie, das ist noch nicht mal die Lizenz enthalten. Es ist ein Verlustgeschäft, wenn man diese Kopie einmalig vor 80 Leute vorführt. Wenn die Rechteinhaber dafür sorgen würden, dass so ein filmisches Schaffen erhalten bleibt und in Vorführkopien vorgehalten werden kann, dann wäre das kein Thema. Gerade die Kopien der jüngeren Filmgeschichte gibt es kaum noch, während hingegen die alten Filme unendlich gepflegt werden. Einen Film, wie Fedora von Billy Wilder bekommt man heute einfach nicht mehr. Der ist einfach nicht mehr existent. Die Diskussion, die jetzt angestoßen wurde, ist völlig an der Sache vorbei. Wir würden liebend gern Filmkopien spielen, aber sie sind entweder unbezahlbar oder nicht existent.

Aber das Babylon als Stummfilmkino wirbt gerade mit seinen alten, noch vorhandenen Techniken, wie der Philips Orgel, der alten goldumrandeten Stummfilmleinwand oder dem Orchestergraben. Es wird besonders auf die alten Techniken verwiesen, während dann eine Digitalversion gezeigt wird. Steht das nicht im Kontrast zueinander?
Beyer: Bei den frühen Filmen, vor 1930 sind die Filme durch die Möglichkeiten digitaler Filmbearbeitung in einen Zustand versetzt, der sie sehr viel angenehmer macht, etwa Laufstreifen oder andere Defekte am Bild. Die lassen sich durch die digitale Restaurierung einfach eliminieren. Aber um das vielleicht auf einen Punkt zu bringen: Wir sind einfach der Überzeugung, unabhängig von allen Formalfragen, das die Inhalte im Vordergrund stehen sollen. Sie können Goethe schließlich auch in einer Reclam-Ausgabe lesen, sie müssen nicht die Schweinsfeder-Ausgabe haben. Stummfilme laufen heute streng genommen auch nicht mehr im originalen Format oder auf ihrem originalen Träger. Das waren damals Nitrozellulosekopien, die natürlich einen anderen Bildeindruck hinterlassen haben, als die Polyesterkopien von heute. Wenn man das also ganz authentisch machen wollte, dann müsste man diese Kopien zeigen und nicht nur das. Es gibt auch Stummfilmfreaks in Wien, die dazu noch originale Aufführungen aus der Frühzeit inszenieren, in denen gar keine elektrischen Kolben in den Projektoren sind, sondern irgendwelche Petroleumlampen, um diesen Laterna-Magica Effekt zu erzeugen. Es gibt also immer zwei Seiten.

Aber sind solche Reihen nicht ohnehin eher die Aufgabe von Kinematheken?
Beyer: Wie schon gesagt, auch die Kinematheken können sich der Entwicklung nicht mehr entziehen. Das ist aus meiner Sicht auch ein Grund, warum so große Retrospektiven in den Kinematheken nicht mehr stattfinden. Weil auch sie zunehmend ein Problem mit diesen ganzen Gebühren haben. Wenn es um die Aufführungsrechte geht, da stehen immer auch noch die Produzenten dahinter, gerade bei Wilder oder auch Hitchcock. Also auch wenn im Babylon digitale Projektionen gezeigt werden, so entbindet das uns ja nicht der Verpflichtung, die Vorführlizenz zu bezahlen. Die allein bewegen sich auch immer zwischen 300 und 500 Euro pro Vorführung, plus Beteiligung. Wenn da irgendetwas eingespart wird, dann allenfalls die Kosten für die teuren Kopien und den Transport dieser. Uns muss es wichtiger sein, so etwas wie das Gesamtwerk dieser Regisseure im Kino zu zeigen, als die Frage nach möglichst authentischen Materialien. Das bleibt aber natürlich ein Desiderat. Wenn erst mal die jüngeren Filmklassiker auf neuere Träger wechseln, dann werden wir diese Debatte und Beschwerden schon bald nicht mehr haben.

Das Gespräch führte SuT

„Chaplin Complete“, 15. Juli bis 7. August, Babylon Mitte, Porgramm unter www.babylonberlin.de

Zum Interview mit der Chaplin-Tochter Geraldine Chaplin

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