Interview mit den kiezkieken-Machern

Ursus berlinensis und Kiezklischees


Spiegelt sich das auch tatsächlich in den Arbeiten der Filmemacher wieder?

Manuela Georgiew

Manuela Georgiew

Georgiew: Zu Marzahn haben wir weniger Einsendungen bekommen, während der Prenzlauer Berg weit vorne lag. Das spiegelt die kulturelle Aktivität auf gewisse Weise wider. Interessanterweise werden aber in den Filmen nicht unbedingt die gängigen Sichtweisen auf die Orte gezeigt, wie zum Beispiel Migrationsthematiken in Wedding und Rechteproblematiken in Marzahn. Oft wird ein neuer, sehr individueller und persönlicher Fokus auf die Kieze gelegt. Es werden Initiativen und Orte porträtiert, die man vorher noch nicht wahrgenommen hat. Es stehen also Themen im Blickfeld, die eine lokale Relevanz im Kiez haben, anstatt Klischees zu bedienen.

Was gibt es überhaupt noch Interessantes über den Prenzlauer Berg zu sagen? Babyboom, Bionade-Hipster und Clubsterben sind die zentralen Schlagworte, denen man heute oft begegnet, die vielleicht stilisiert wirken, aber doch auch ein wahres Bild des Bezirks zeichnen.

Becher: Im Endeffekt ist Prenzlauer Berg auch nur ein normaler Berliner Ortsteil und die Einsendungen waren, außer dass es einfach mehr als die anderen waren, genauso unterschiedlich und vielfältig wie die zu Wedding und Marzahn. Wir hoffen einfach, dass wir mit unserer Auswahl ein unterhaltsames und interessantes Programm zusammenstellen konnten. Natürlich kommen die Schlagworte im Programm vor, gleich in unserem ersten Film „In this city“ kann man einiges wiederfinden und die Filme „Ursus berlinensis“ und „KK Kiezklischees“ gehen auf eine sehr ironische und lustige Art mit den gängigen Klischees um. Aber es gibt auch andere Themen. Der Film „Was übrig bleibt“ ist eine Dokumentation über eine Stadtmission in der Malmöer Straße. n „Phänomene des Alltags“ wundert sich die Filmemacherin über eine doppelte Beschilderung an der Kreuzung Schönhauser Allee/Wisbyer Str. und geht dem mal auf den Grund.

Gab es Positionen von Filmemachern, die Euch überrascht haben?

Becher: Ja, auf jeden Fall. Das lag aber mehr an der Form und den individuellen Ideen der Filme. Gleich drei Filmemacher haben es sich vorgenommen, alle unsere Orte in einem Film zu vereinen. Das war mehr, als wir gefordert haben.

Georgiew: Die Filme werden natürlich nicht dreimal gezeigt. (lacht)

Becher: Zum Thema Wedding haben uns zwei Filme überrascht, in denen ein Perspektivenwechsel stattfindet. In „Ausgestellt“ wird der Leopoldplatz zum Museum und das normale Alltagsgeschehen des Platzes zum Kunstwerk. In „Rolling Wedding“ erfährt eine Frau ihren Kiez auf ganz andere Weise, indem sie sich an den Wänden entlangrollt.

Eva Schmidhuber

Eva Schmidhuber

Schmidhuber: „Wandel“ ist ein Film, in dem das Visuelle in den Hintergrund gedrängt wird und den Gesprächen der Vorrang gegeben wird. „I’ll be watching you…“ thematisiert auf fast unangenehme Weise die ständige Videoüberwachung, die den meisten Menschen in der Stadt gar nicht bewusst ist.

Becher: Mich hat auch noch „Dadaware – house of neptune“ beeindruckt. Ein Film, der aus 3500 Fotos besteht.

Beispiel Marzahn, Euer Screening findet im ORWOhaus statt. Wie seid Ihr auf diesen Ort gestoßen?

Georgiew: Das ORWOhaus ist seit Jahren eine der Institutionen, die immer wieder von sich reden macht. Es ist ein interessanter Ort, sowohl geschichtlich, als auch was daraus gemacht worden ist. Als Kreativhaus legt es zwar eher den Fokus auf Musik, Bands, Proberäume und Konzerte, gleichzeitig lädt es aber auch aufgrund der enormen Fläche dazu ein, neue Dinge wie unser Festival auszuprobieren und zu schauen, ob sowas als Konzept funktioniert. Wir sind gespannt. Im ORWOhaus wird es übrigens nach den Filmen noch ein Konzert von The Blood Arm geben.

Ihr bietet auch Kieztouren an? Was passiert dort?

Becher: Die Touren sind als Ergänzung gedacht. Man kann mit ihnen nochmal anders als durch die Filme einen Einblick in die Orte bekommen. In Wedding und Prenzlauer Berg arbeiten wir mit Projekten wie inBerlin und Route 65 zusammen, die unterschiedlich konzeptioniert sind und bereits über viel Erfahrung verfügen. Für eine Tour in Hellersdorf konnten wir den ehemaligen Marzahner Stadtrat Dr. Heinrich Niemann gewinnen, der kein professioneller Stadtführer ist, aber viel zu erzählen hat. Das Ziel seiner Tour wird eine Museumswohnung in einer Platte sein, die im Stil der 80er Jahre eingerichtet ist. Auf dem Weg zu der Wohnung wird Dr. Niemann das Konzept des Wohnungsbaus der DDR und die Wandlungen seit 1990 an den Baulichkeiten erläutern.

Wurdet Ihr von den Bezirken in irgendeiner Form unterstützt?

Schmidhuber: Finanziell leider nicht. Aber wir konnten die Bezirksbürgermeister als Schirmherren gewinnen. Das war eine schöne Erfahrung, da sie zu einem Interview mit uns bereit waren und so ihren ganz eigenen Blick auf den Ortsteil vermitteln konnten. Worüber wir uns sehr gefreut haben, auch Hannes Stöhr unterstützt uns. Er steht als kultureller Pate für die Filmproduktion in Berlin. Die Interviews mit allen kann man sich auf unserer Webseite und auf dem Festival in den Videoinstallationen ansehen.

Die Fragen stellte Martin Daßinnies

Fotos: Jekaterina Petrova

Kurzfilmfestival Kiezkieken, 5.,6. / 12.,13. / 19.,20. / 27. November 2011, www.kiezkieken.de, direkt zum Programm

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