Interview mit Filmemacherin Marjane Satrapi
"Kunst hat keine Pflichten"
Wie schon der Animationsfilm „Persepolis“ ist die zweite Regiearbeit von Comic-Zeichnerin und Filmemacherin Marjane Satrapi die Verfilmung eines ihrer Comic-Bücher. Doch anders als in ihrem autobiographischen Debüt besitzt „Huhn mit Pflaume“ märchenhaften Züge: 1958 beschließt der weltbekannte Geiger Nasser Ali Khan, gespielt von Mathieu Amalric, der sein zerbrochenes Instrument nicht adäquat ersetzen kann, zu sterben. Wir sprachen mit der Regisseurin über Musik im Film, Comics und über ihre erste Zusammenarbeit mit realen Schauspielern.
Madame Satrapi, in „Pflaumen mit Huhn“ spielt Musik eine sehr wichtige Rolle. Wie beeinflusst Musik Ihr Leben
Ich mag vollkommen verschiedene Musikstile. Johann Sebastian Bach und Mozart mag ich genau so sehr wie Iggy Pop and The Stooges, Soul, Funk oder auch Rock. Ich bin offen gegenüber allen Arten von Musik, abgesehen von R’n’B. Ich hasse R’n’B! Das ertrage ich nicht. Genau wie den Kram von Lady Gaga.
In einem Interview beschrieben Sie Ihre Arbeit als Freestyle-Jazz…
Satrapi: Der Film ist existentialistisch, suggeriert aber gleichzeitig den Glauben an höhere Mächte. In seinem Zentrum steht eine nicht sonderlich sympathische Figur, die nicht nett ist, seine Kinder nicht mag und die auch keine Erlösung erfährt. Weder ich noch mein Regie- und Drehbuch-Partner Vincent Paronnaud waren auf einer Filmhochschule. Keiner von uns kommt vom Kino. Wir kennen keine Genre-Regeln, die uns vorschreiben, was wann zu passieren hat. Mit Freestyle meine ich, dass wir keinem bestimmten Stil folgen wollten. Wir machen was wir wollen.
Der Violinist Nasser-Ali Khan, Ihre Hauptfigur, ist aus genannten Gründen ein Antiheld. Das Einzige, dass er wirklich liebt, ist sein Künstlerdasein…
Nun ja, er liebt auch diese Frau. Er lebt ein Leben mit gebrochenem Herzen, was ein Überleben sehr schwierig macht. Auf seine Weise ist er ein Held, weil er vollkommen ehrlich zu sich selbst ist. Er versteckt sich nicht. Er erinnert sich an sein Leben. Er stirbt für sein Leben. Das weckt Sympathien beim Publikum für diesen recht gemeinen Typen. Es fühlt mit ihm und versteht ihn. Der Film ist von daher sehr psychologisch. Nehmen wir seine hässliche Frau, die sehr garstig zu Nasser-Ali ist und ihm das Leben zur Hölle macht. Mit der Zeit erkennen wir, wie schön sie eigentlich ist und dass sie gute Gründe hat zu sein, wie sie ist. Am Ende lieben wir sie. Das ist ein Geschenk, das wir jedem der Charaktere machen. Sie dürfen manchmal gemein sein, genau wie echte Menschen. Es gibt niemanden, der von Geburt an nett ist. Wir sind alle krankhaft gemein.
Ist Musik für Nasser-Ali der Weg seine tragische Liebe zu kanalisieren?
Sie hat ihn über Jahre am Leben gehalten, aber in dem Moment, in dem seine große Liebe so tut, als kenne sie ihn nicht, zerbricht alles für ihn. Dank seiner Sehnsucht hat er über 30 Jahre lang Musik gemacht und sich an seine Liebe erinnert. Er dachte, sie würde das auch tun. Seine Wünsche werden sich nie erfüllen. Er verliert den Glauben an die Musik und damit ans Leben.
Nach dem überaus erfolgreichen „Persepolis“ basiert auch „Huhn mit Pflaumen“ wieder auf einem Ihrer Comics.
Das folgt keinem Prinzip. Bei „Persepolis“ wollte ein Freund von mir Produzent werden und überredete mich, „Persepolis“ zu adaptieren. „Poulet Aux Prunes“ empfand ich als sehr cinematographisch. So entstand eine offensichtliche Fortsetzung der Arbeitsweise, aber es ist nicht so, dass ich Bücher schreibe, um anschließend Filme daraus zu machen. Dafür dauert das einfach zu lange. Es wäre hinderlich, Bücher zu schreiben, nur um diese zu adaptieren. Das ist das zweite und letzte Mal.
Im Gegensatz zu „Persepolis„, wo sie alle Schauspieler selbst erschufen, waren sie nun auf reale Menschen angewiesen…
Bei „Persepolis“ war ich alle Schauspieler. Nun erweckten diese tollen Schauspieler meine Figuren zum Leben. Entscheidend bei einem solchen Film ist die Besetzung. Nur so konnten wir die Geschichte transportieren. Dass das klappte, war ein Geschenk der Darsteller an die Geschichte.
Was prädestiniert Mathieu Amalric für die Rolle?
Er ist der beste französische Schauspieler! Er kann einen Bösewicht bei James Bond genauso spielen, wie einen am Locked-In-Syndrom erkrankten in „Schmetterling und Taucherglocke“ (Anm. von Regisseur Julian Schnabel). Er ist extrem talentiert, extrem intelligent und extrem intensiv. Ein einzigartiger Schauspieler. Mathieu war meine erste und meine zweite Wahl für die Rolle. Gott sei Dank hat er zugesagt. Allein, was seine Augen ausdrücken! Er erklärt die Verrücktheit des Lebens.