Retrospektive „Direct Cinema“ im Kino Arsenal

The subject matter matters too


Robert Drew begleitete in seiner Dokumentation "Primary" John F. Kennedy 1960 bei den Präsidentschafts-Vorwahlen in Wisconsin

Robert Drew begleitete in seiner Dokumentation "Primary" John F. Kennedy 1960 bei den Präsidentschafts-Vorwahlen in Wisconsin

Die Fliege als Insekt genießt einen zweifelhaften Ruf. Man unterstellt ihr weder die Strebsamkeit einer Biene noch das Bestialische einer Hornisse. Von der Anmut eines Schmetterlings ist sie ebenso weit entfernt wie von der Mobilität einer Mücke. Fliegen zieht es, wenn überhaupt, ins Licht, also in den Tod, ansonsten findet man sie bei genauerer Beobachtung an der Wand – still und ausharrend. Einer Fliege kann weder besonders männliche, noch besonders weibliche Charaktereigenschaften zuschreiben. Sie ist ein Neutrum. Distanziert beobachtet sie und bleibt dabei unergründbar.

Am Ende der 1950er simplifizierten nordamerikanische Filmemacher ihr Handwerk, in dem sie wie das eigensinnige Stubenvieh einfach steif hielten und kiebitzten. Das Kino Arsenal widmet dem Gefühl der Echtzeit, der Behutsamkeit des Abbildens, allgemein der Zeit als eine kritische Ressource in der Retrospektive zum Direct Cinema vom 12. bis 25. März seine Räumlichkeiten. Diese besondere Form der Dokumentation ist mittlerweile ein fester Bestandteil der Nonfiction-Palette. Einer breiten Basis wurde es durch die Arbeiten einiger Hollywood-Größen näher gebracht, darunter Martin Scorsese („The Last Waltz„), Jim Jarmusch („Year of the Horse„) oder Hal Ashbys „Let’s Spend the Night Together„.

Mit der Geburt des Direct Cinema werden die Namen Richard Leacock und Robert Drew verbunden. Richard Leacock hatte die Jugend einer Jules Verne Figur. Der Privatschüler drehte in den frühen 1930ern  seine erste Arbeit „Canary Bananas„, um Internatsschülern in England einen Eindruck über seinen Alltag auf den Kanaren zu vermitteln. Mit der Sorglosig- und Leichtigkeit eines Sprosses aus der englischen Oberschicht drehte er und schloß gelegentlich sogar einige Arbeiten ab. Das Urheberrecht interessierte ihn weniger. Die Eigenwerbung war ihm fremd: „Ich habe Probleme mit Fernsehredakteuren. Die verstehen mich nicht. Sie wollen, dass man alles erklärt. Ich lasse die Dinge lieber offen und vermittle das Gefühl, im Zentrum des Geschehens zu stehen. Aber alles, was ich in Fernsehfilmen heute sehe, sind plaudernde Menschen, talking heads. Das interessiert mich nicht. Bei mir soll jeder nur er selbst sein – kein sprechender Schädel.“

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