Retrospektive „Direct Cinema“ im Kino Arsenal

The subject matter matters too


Der repressive Charakter der konventionellen Dokumentation wurde ihm im Jahre 1958 während der Drehvorbereitungen zu „Bernstein in Israel“ zum Verhängnis. Da es sich um einen Musikfilm handelte, baute er seine Kamera im Konzertsaal auf. Bedauerlicherweise stellte aber das Hotel einen Flügel zur Verfügung und so gaben Leonard Bernstein und seine Frau Motive der „West Side Story“ zum Besten und ein frustrierter Leacock durfte ohne Kamera zuschauen. Von dem Tag an beschloss er, sein Equipment leicht und transportabel zu halten. 16mm-Kameras und tragbare Synchrontongeräte kommen so bei den meisten seiner Arbeiten zum Einsatz und das Direct Cinema hatte damit eine eigene Bildsprache. Dem anderen Begründer Robert Drew, ein Reporter beim „Life Magazin“, gelang mit dem Film „Primary“ 1960 der Durchbruch. Begleitet werden die Kanidaten John F. Kennedy und Hubert Humphrey während der Präsidentschafts-Vorwahlen in Wisconsin. So konnte man zum ersten Mal das Gesicht eines Kanidaten abfilmen, wie er auf das Abstimmungsergebnis wartet oder sich durch eine Reportermenge wurstet. Der ästhetische Gewinn ist die größere Intimität. Außerdem lernten sich bei den Dreharbeiten Drew und Leacock persönlich kennen. Drew hatte als Journalist bedeutend mehr Erfahrung, dafür war Leacock der bessere Fotograf und Kameramann. Zusammen schufen sie einen Film, der Kennedys rationale, charismatische Ausstrahlung ebenso greifbar machte wie Humphreys Humor und Zuneigung zu seiner Frau, nicht zu vergessen die Angst um das Scheitern.

Kennedy erkannte bei Zeiten die historische Signifikanz dieser neuen Art von Film und kommentierte Drews Bitte, ihn 24 Stunden am Tag begleiten zu dürfen mit: „Yes – what if I could see what went on in the White House during the 24 hours before FDR declared war on Japan?“ Der große Erfolg von „Primary“ sorgte dafür, dass Robert Drew seine Produktionsfirma „Drew Associates“ ins Leben rief, die sich vollständig dem Direct Cinema verschrieb. So bietet die Retrospektive ebenfalls die Möglichkeit „The Children were watching„,  „The Chair“ und „Meet Marlon Brandon“ zu sichten. Robert Drew (und alle anderen Regisseure des Direct Cinema) vollbrachte(n) freilich mehr als die gemeine Stubenfliege und so konstatierte er im Alter von 84 Jahren: „it turns out that the subject matter matters too“.

Joris J.

Direct Cinema, 12. bis 25. März, Kino Arsenal, Programm unter www.arsenal-berlin.de

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