Vier sehsüchte-Organisatoren im Gespräch

"Wir sind immer wieder jung"


Benjamin Hillmann ist bereits im zweiten sehsüchte-Jahr und organisiert die Pressearbeit des Festivals.

Benjamin Hillmann ist bereits im zweiten sehsüchte-Jahr und organisiert die Pressearbeit des Festivals.

Benjamin, warum hast Du dich für die Pressearbeit entschieden?
Benjamin:  Ich wollte mal was anderes ausprobieren, nachdem ich letztes Jahr Marketing gemacht habe. Da habe ich mich größtenteils mit der Website beschäftigt und hatte relativ wenig Außenkontakt. Jetzt ist es genau das Gegenteil. Kommunikation nach außen ist die wichtigste Aufgabe bei der Pressearbeit, denn gerade wenn noch viel Vorlaufzeit bis zum eigentlichen Festival bleibt, ist es meist schwierig, die Leute schon im Vorhinein zu begeistern. Da muss man sich Strategien überlegen, damit die Presse am Ball bleibt und sehr für die Aufmerksamkeit kämpfen. Aber in den letzten Wochen vor dem Festival merkt man schon, dass sich das praktisch verselbstständigt und die Anfragen sich häufen.

Um Aufmerksamkeit ging es wahrscheinlich auch bei der Sehsüchte-Party, die bereits im Februar während der Berlinale stattfand.
Benjamin: Genau, das  machen wir schon seit mehreren Jahren so, um von der Filmszene verstärkt wahrgenommen zu werden. Wir hängen da schon unsere Plakate auf, verlosen Tickets und generieren damit schon Monate im Vorhinein einen Presserummel. Die Sehsüchte-Party findet immer im Anschluss an den Empfang des Berlinale Forums statt, da die Sektion sich ja auch auf junge Filmemacher spezialisiert hat und das eben auch unsere primäre Zielgruppe ist, die wir ansprechen wollen.

Apropos Zielgruppe: Auf wie viele Besucher kommt Ihr im Schnitt und welche Menschen wollt Ihr mit dem Festival erreichen?
Lydia: In den letzten Jahren kamen wir immer in etwa auf 6000 Besucher. In erster Linie kommen natürlich Filmemacher, darunter viele Nachwuchstalente, um sich einen internationalen Überblick zu verschaffen und um Kontakte herzustellen. Sehsüchte will auch ein Ort zum Netzwerken sein, damit neue Projekte und Kooperationen zukünftig entstehen können. Ansonsten kommen auch viele Fachbesucher, also meistens Produzenten oder Leute, die bereits erfolgreich in der Filmbranche Fuß gefasst haben. Zum Beispiel haben wir den Schreibsüchte-Tag und den Pitch, wo Drehbücher und Story-Ideen vorgestellt werden, was für Produzenten sehr interessant ist. Ansonsten richten wir uns mit unserem Angebot natürlich allgemein an filmbegeisterte Besucher, zumal wir hauptsächlich Kurzfilme zeigen und die in regulären Programmkinos ja meistens unterrepräsentiert sind. Das Schöne daran ist, dass wir dadurch einen Kontakt zwischen Filmemachern und Zuschauern herstellen können, der sich dann meistens in der Lounge oder im Rahmenprogramm ergibt.

Müsst ihr Euch besonders engagieren, um Potsdam in dieses Festivalfeeling zu versetzen?
Benjamin: Potsdam ist eben nicht so hip wie Berlin. Aber gerade durch die Festivaldichte und die kulturelle Szene, die Berlin auszeichnet, hat unser Festival in Potsdam dann schon ein Alleinstellungsmerkmal, zumal wir durch den ständigen Organisationswechsel ja auch nie alt werden. Wir sind immer wieder jung.

Wenn die Einreichungen vorrangig von jungen Filmemachern kommen, wie wirkt sich das thematisch auf die Filme aus? Habt Ihr da Schwerpunkte erkennen können und in der Programmplanung umgesetzt?
Manuel: Wir haben einzelne Filmblöcke gemacht und natürlich geschaut, dass die Blöcke in sich thematisch Sinn machen. Auffällige Themen sind zum Beispiel Jugend und Altern, Arbeit, Liebe oder auch Sterben. Man kann nicht sagen, dass die Filme übergeordnet gesellschaftskritisch oder politisch sind, meistens sind sie schon nah am Individuum und behandeln Themen wie Alltag, Familie oder Freunde.
Zoe: Also zum Thema Altern und Sterben sind die Titel schon sehr prägnant: „Wir sterben„, „Das letzte Kapitel„, „After“ – da kann man schon recht gut auf den Inhalt schließen. Wir haben zwar die einzelnen Blöcke thematisch geordnet, uns aber dagegen entschieden, alle Filme mit dem Thema Tod in einer zweistündigen Vorführung zusammen zu packen. Das hält doch keiner aus! Ein paar durchgeknallte Filme mit sprechender Kotze sind aber auch dabei.
Manuel: Genau, wir haben zum Beispiel den Block zu Midnight Movie Madness gemacht, wo eben viele abgefahrene und freakige Beiträge dabei sind und das kann von Mord und Totschlag bis hin zu Science-Fiction reichen.

Filmszene: "Tilman im Paradies" von Regisseur Julian Vogel

Filmszene: "Tilman im Paradies" von Regisseur Julian Vogel

Habt Ihr eine Zensur oder stoßt Ihr manchmal an Grenzen und könnt Beiträge nicht zeigen, weil Ihr sie als zu extrem erachtet?
Manuel: Es gab einen Film aus Ludwigsburg, „Tilman im Paradies„, bei dem wir auf jeden Fall ethische und moralische Bedenken hatten. Da geht es um einen großen, dicken Typen mit Glatze, der ein gestörtes Verhältnis zu Frauen hat und mehrmals pro Woche in den Puff geht. Ein paar von unserer Sichtungsgruppe waren der Meinung, dass der Protagonist hier vorgeführt wird und der Film daher diskriminierend sei. Ich persönlich habe das zum Beispiel gar nicht so empfunden und letzten Endes haben wir den Film auch mit ins Programm genommen, denn gerade bei solchen Beiträgen können sich im Anschluss zwischen Filmemacher und Publikum kontroverse Diskussionen ergeben, die natürlich spannend sind.

Zu guter Letzt: Wie gut ist der deutsche Nachwuchsfilm Eurer Einschätzung nach im Moment?
Manuel: Ich sage: Gut.
Zoe (lacht): Naja, eher mittel. Ich glaube, wir haben viel mehr deutsche Filme als ausländische Filme aussortiert, was relativ gesehen natürlich auch an den vermehrt deutschen Einreichungen liegt.
Manuel: Ja, aber handwerklich sind die meisten Filme ziemlich gut.
Zoe: Aber sie haben nichts zu erzählen.
Manuel: Ja, das stimmt, manche sind echt etwas platt. Man hat das Gefühl, dass vielen deutschen Filmemachern oft der Mut oder die Risikobereitschaft fehlt und dann kommt einem das manchmal etwas eindimensional vor, gerade wenn man den Vergleich zu anderen Nationen hat. Ausgenommen sind da aber die Dokumentarfilme, da staune ich immer wieder über neue Themen und die Nähe, die da teilweise zu den Protagonisten aufgebaut wird. Meine Kritik richtet sich eher gegen die deutschen Kurzspielfilme. Gute Langspielfilme sind aber zum Beispiel „Kriegerin“ und „Dicke Mädchen„, die laufen natürlich bei uns im Programm.

Das Interview führte Alina Impe, Fotos: Martin Daßinnies

41. sehsüchte, 24. bis 29 April, Thalia Kinos Potsdam, Programm unter www.sehsuechte.de

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