Experimentierfreudig und erfrischend

"Neues griechisches Kino" im Kino Arsenal


"Attenberg": Ein bizarres Bild über die Spezies Mensch, Foto: Haosfilm

"Attenberg": Ein bizarres Bild über die Spezies Mensch, Foto: Haosfilm

Trostlos und karg wirkt der Alltag, den der griechische Regisseur Giorgos Lanthimos in seinem neuen Film Alpen vor dem Zuschauer ausbreitet. Unter dem Namen „Die Alpen“ bieten darin vier äußerst bizarre Figuren eine ungewöhnliche Dienstleistung an: Gegen Bezahlung schlüpfen sie in die Rolle kürzlich Verstorbener, um deren Familien beim Trauern zu unterstützen bzw. die Trauer zu erleichtern. Lanthimos‘ Film eröffnet heute Abend die Reihe „Neues griechisches Kino“ im Kino Arsenal, die sich in den kommenden vier Wochen dem aktuellen griechischen Filmschaffen widmet. Eine Auswahl an 13 Dokumentar- und Spielfilmbeiträgen zeigt eine junge Generation von Regisseuren, die ihrem krisengebeuteltem Heimatland ein äußerst innovatives Filmschaffen entgegenstellt.

Wie auch Giorgos Lanthimos machen zahlreiche andere Beiträge der Reihe die Krise ihres Heimatlandes nicht direkt zum Thema im Sinne einer klaren politischen Botschaft. Vielmehr schimmern die Probleme Griechenlands durch die persönlichen Schicksalsschläge der Figuren, die zwischenmenschlichen Konflikte oder absurden Situationen, durch die sich die Protagonisten bewegen. Was die ausgewählten Filme vereint, ist ein experimentierfreudiger Umgang mit dem Format Film und eine mitunter ungewöhnliche Thematisierung zwischenmenschlicher Unzulänglichkeiten. So speist sich das Wissen der Protagonistin in „Attenberg“ (2010) von Athina Rachel Tsangari über menschliches Verhalten und Sexualität aus Tierdokumentationen des Naturfilmers Sir David Attenborough, der von der Hauptdarstellerin „Attenberg“ genannt wird. Die 23-jährige Marina lebt gemeinsam mit ihrem krebskranken Vater in einem kleinen Ort an der westgriechischen Küste und findet durch die Begegnung mit einem Fremden zaghaft Gefallen am zwischenmenschlichen Miteinander. Erfrischend unterhaltsam entwirft Tsangari in ihrem zweiten Langfilm eine bizarres Bild über die Spezies Mensch.

Die Filmemacherin zählt neben ihrem Regie-Kollegen Giorgos Lanthimos, der in Tsangaris Film in einer Nebenrolle zu sehen ist, zu den zentralen Figuren des neuen griechischen Kinos. Die Arbeiten der jungen Regiegarde lassen sich jedoch nicht als Schule oder Gruppe zusammenfassen. Was die Filme vielmehr vereint, ist eine thematische Nähe. Immer wieder kreisen die Geschichten um Sinnsuche, die Wirtschaftskrise, um Sprachlosigkeit, Familienkonflikte, Tristesse oder Lethargie. So erzählt Lanthimos in seinem preisgekröntem Werk „Dogtooth“ (2009), das auch im Arsenal zu sehen sein wird, von einem Ehepaar, welches mit seinen Kindern strengen Verhaltensregeln folgend in einer großen Villa abgeschottet von der Außenwelt lebt und in einer äußerst komischen Familiensprache kommuniziert. Die tiefschwarze Komödie erhielt nicht nur 2009 in Cannes den Jury-Preis „Un Certain Regard“, sondern wurde auch für den Oscar in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ nominiert.

Viele der ausgewählten Spiel- und Dokumentarfilme der Reihe „Neues griechisches Kino“ sind erstmalig in Berlin zu sehen. Neben Giorgos Lanthimos und Athina Rachel Tsangari werden im Mai zahlreiche andere griechische Filmemacher im Arsenal zu Gast sein, ihre Filme präsentieren und den Zuschauern die Möglichkeit geben, miteinander ins Gespräch zu kommen – über die Filme, das griechische Kino, die Wirtschaftskrise und die Irrungen und Wirrungen des menschlichen Miteinanders.

Eileen Reukauf

Neues griechisches Kino 4. bis 30. Mai, Kino Arsenal, Programm unter www.arsenal-berlin.de