Zwischenbericht zum 65. Filmfestival in Cannes

Ein Blick nach Cannes


Sextouristen in Afrika: "Paradies:Liebe" von Ulrich Seidl, Foto: Filmfestival Cannes

Sextouristen in Afrika: "Paradies:Liebe" von Ulrich Seidl, Foto: Filmfestival Cannes

In diesem Jahr ist Michael Haneke mit seinem Film „Liebe“ („Amour„) erneut im Wettbewerb des Filmfestivals („Das Weisse Band“ gewann 2009 die Goldene Palme) vertreten und widmet sich abermals einem spröden und unbequemen Thema: dem Alter und Verfall. „Liebe“ zeigt ein Paar in den 80ern, das zu Beginn des Films noch wunderbar zurechtkommt. Anne (Emmanuelle Riva) und Georges (Jean-Louis Trintignant) waren Musiker, sie sind sich in großer Vertrautheit und Liebe zugetan. Dann bekommt Anne den ersten Schlaganfall, dem ein körperlicher und geistiger Verfall folgt. „Liebe“ bildet bisher den Höhepunkt der ersten Hälfte des Festivals und einem Wettbewerb, der noch immer auf einen Film wartet, der alle begeistert. Der Liebling der Kritiker war zuvor Jacques Audiards „Rust and Bone„, der ganz unsentimental die Liebesgeschichte zwischen einer Frau, die bei einem Unfall ihre beiden Beine verliert, und einem Amateurboxer schildert.

Ulrich Seidl, neben Haneke der zweite Österreicher im Wettbewerb, polarisierte Publikum und Kritik. Sein „Paradies: Liebe“ zeigt weibliche Sextouristen in Afrika. „Seidls Film entpuppt sich nach und nach als knallharter Sozialkommentar und vor allem als Film, der bis zum bitteren Ende dabei bleibt, der seine Geschichte konsequent durchkonjugiert.„, wie Beatrice Behn auf kino-zeit.de kommentiert. Ein Jahr nach „Tree of Life“ (Terrence Malick) ist Brad Pitt wieder zurück in Cannes, diesmal mit dem  Gangsterthriller „Killing Them Softly“ von Andrew Dominik, der den ausgewaschenen Look von Gangsterfilmen der Siebzigerjahre übernimmt. Der Film basiert auf dem 1974 erschienenen Roman von George V. Higgins. Andrew Dominik, der gemeinsam mit Brad Pitt den kongenialen Neo-Western „Die Ermordung von Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ realisierte, widmet sich nun einer verschlungene Geschichte aus der Unterwelt. Die vertrackte Handlung geht soweit, dass Hauptdarsteller Brad Pitt erst nach etwa einer halben Stunde seinen ersten Auftritt hat und erst nach und nach in den Mittelpunkt der Handlung rückt. Als Jackie Cogan wird er von einem Syndikat als Außenstehender angestellt, um Licht in die Hintergründe eines Überfalls zweier Gangstern auf ein von der Unterwelt organisiertes Pokerspiel zu bringen.

Regisseur Fatih Akin stellte in diesem Jahr (außer Konkurrenz) seine Langzeitdokumentation „Müll im Garten Eden“ vor. Im Zentrum des Film steht der kleine Ort Camburnu an der Schwarzmeerküste, dessen Bewohner seit Jahren gegen eine Mülldeponie kämpfen. Camburnu ist auch das Heimatdorf von Akins Großvater. Zwischen 2007 und 2011 verfolgte Akin mit der Kamera, wie die Befürchtungen der Deponie-Gegner eintreffen. Neben Akin ist 2012 nur Sergei Loznitsa mit seinem Film „Im Nebel“ als deutscher Beitrag in Cannes vertreten. Es ist sogar nur der einzige deutsche Beitrag im Wettbewerb. Ein weiterer Anwärter auf die Goldene Palme könnte auch Cristian Mungius neuer Film „Beyond  The Hills“ sein. Der rumänische Regisseur gewann 2007 die Goldene Palme mit seinem Abtreibungsdrama „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“. „Beyond the Hills“ erzählt von zwei Frauen, die gemeinsam einen Schwangerschaftsabbruch planen und ausführen. Die Geschichte ist in der Zeit des Ceaușescu-Regimes angesiedelt, in der Abtreibungen hart geahndet wurden. „Das Ergebnis ist ein sehr langsamer und mit zweieinhalb Stunden auch langer Film, der außerordentlich nachhallt, selbst wenn man während der Festspiele noch etliche andere Filme gesehen hat“, kommentiert Wenke Husemann auf Zeit-Online.de.

Regisseur Leos Carax hat seit seinem Skandalfilm „Pola X“ aus dem Jahr 1999 keinen Langfilm mehr gedreht. Für seinen neuen Film „Holy Motors„, von dem vor dem Festival wenig bekannt war, konnte der französische Regisseur neben seinem Stamm-Darsteller Denis Lavant Popstar Kylie Minogue für die Hauptrolle gewinnen. Der Film folgt den Streifzügen von Monsieur Oscar (Denis Lavant) durch Paris, der mal als Industrieller, Mörder, oder Bettler durch die Straßen der französischen Metropole streift. Begleitet wird er von Céline (Edith Scob), die den Wagen steuert, mit dem er die Stadt durchquert. „Holy Motors„verknüpft verschiedene Genre und vereint Elemente aus Horrorfilm, Thriller, Fantasy und Musical.  Leos Carax erhielt für seinen Cannes-Beitrag vom Publikum anhaltenden Beifall und ist damit ein unerwarteter Palmenanwärter.