Rückblick auf das 30. Filmfest München

Ein Festival als Botschafter fürs Kino


Carl Luis Zielke und Elias Gottstein mit Regisseur Sobo Swobodnik (Mitte), Foto: Filmfest München

Carl Luis Zielke und Elias Gottstein mit Regisseur Sobo Swobodnik (Mitte), Foto: Filmfest München

Generationen-Portraits

Auf einer besonderen Reise befinden sich seit einigen Jahren Carl Luis Zielke und Elias Gottstein aka Guaia Guaia, wie die beiden ihre Band tauften, mit der sie seit einigen Jahren umher touren. Regisseur Sobo Swobodnik („Der Papst ist kein Jeansboy„) folgt den beiden charismatischen Jungs in seiner Langzeitdoku „Unplugged:Leben Guaia Guaia„, die beim Münchner Publikum punktete und den Publikumspreis gewann. Die beiden wollten mehr vom Leben, als die vorgezeichnete Zukunft in Neubrandenburg – sie wollen Musik machen. Straßenmusik. Ohne Konventionen und Zwänge. Mit allem was sie haben. Mit einer sich selbst auferlegten Radikalität verfolgen sie ihr Ziel und touren durch die Fußgängerzonen des Landes, stranden auf Partys und schlafen dort, wo sie ein Eckchen finden. Im Filmgespräch mit den beiden Protagonisten und ihrem Regisseur erklärt Swobodnik, dass er die beiden „seit 2010“ begleite und sich seitdem zwar die Orte verändern, „sich aber die Ereignisse wiederholen. Es geht immer weiter.“ Auch das Filmfest in München ist nur ein Zwischenstopp. Statt wie noch zu Beginn von Swobodniks Aufnahmen zu „Unplugged:Leben Guaia Guaia“ mit einer umgebauten, mobilen Mülltonne, reisen die beiden nun mit Fahrrädern Marke Eigenbau umher. Ein Ende ist nicht in Sicht, „geplant sind Abstecher in Städte, die wir auseinander nehmen“, berichtet Gottstein. „Wir wollen Deutschland verlassen und größere Kreise ziehen.“ Zwei Asketen, die alles ihrer Musik unterordnen und sich seit nun zwei Jahren mit einer eigenen kleinen Welt umgeben.

Swobodniks Duo passt wunderbar in eine Reihe deutscher Produktionen, die sich mit dem Leben von jungen Menschen zwischen zwanzig und dreißig auseinandersetzen, die sich noch auf einem Weg befinden, dessen Ziel noch nicht in Sichtweite ist. Ein wirklich geistreicher Beitrag gelang wieder einmal den Brüggemann-Geschwistern Dietrich (Regie & Drehbuch) und Anna (Drehbuch und Hauptrolle). In „3 Zimmer/Küche/Bad“ begleiten sie eine Clique von Freunden um Dina (A. Brüggemann) und ihrem besten Freund Philipp (Jacob Matschenz) durch ein Jahr ihres Berliner Lebens – und die Wohnungen, die sie beziehen, die für die Versuche stehen, einen neuen Lebensabschnitt zu betreten. Beziehungen beginnen und scheitern, Freunde kommen und gehen. Das ist fast immer komisch, manchmal tragisch, aber nie platt. Ebenso wenig wie „Oh Boy„, dem bis in die kleinste Nebenrolle großartig besetzten Debüt von Jan Ole Gerster, der Regie führte und auch das Drehbuch schrieb, wofür er beim Filmfest mit dem Förderpreis für das beste Drehbuch bedacht wurde. In tollen schwarzweißen Bildern begleitet er einen jungen Mann (Tom Schilling) durch ein raues Berlin und die Sorgen und Nöte seiner Einwohner, die alle eine Geschichte mit sich herumschleppen.

Vögeln, um wahrgenommen zu werden: "Little Thirteen" von Christian Klandt, Foto: X-Verleih

Vögeln, um wahrgenommen zu werden: "Little Thirteen" von Christian Klandt, Foto: X-Verleih

Porno und Vodka

Zwei Münchner Filme widmeten sich den noch jüngeren, den Teenagern. Ob nun die tristen Plattenbauten im Berliner Osten, am Rande jeder Großstadt oder in Serbien stehen, das Bild der Jugendlichen, das Christian Klandt und seine serbische Regisseurs-Kollegin Maja Milos zeichnen, schwimmt gerade zu in Alkohol und Sperma. Sie zeigen Eltern, die den Zugang zu ihrem Nachwuchs irgendwann verloren. Doch steht der Untergang des Abendlandes tatsächlich kurz bevor? Sowohl in „Little Thirteen“ (Klandt), als auch in „Clip“ (Milos) verbringen die Kids ihre Zeit hauptsächlich mit Saufen und Ficken. Gerne auch in Kombination. Sie präsentieren sich als Objekte, die einzig in ihrer Sexualität einen Weg finden ihre Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Alles was um sie herum passiert, ordnen sie unter oder gerät in Vergessenheit. Sei es der sterbende („Clip„) oder abwesende („Little Thirteen„) Vater, die hilflose („Clip„) oder verantwortungslose, viel zu junge Mutter („Little Thirteen„), in der serbischen, wie in der deutschen Platte. Zyniker könnten im „Clip„-Soundtrack erste Erklärungen ableiten. Glauben wir Milos´Auswahl, setzen sich serbische Heranwachsende Höllenqualen aus, doch die Analysen von Christian Klandt wirken fundierter. Im Publikumsgespräch im Anschluss an den Film, berichtet er von der langen Recherchearbeit zum Film, davon, dass „Little Thirteen“ kein Prekariats-Film sei, sondern die Jugendlichen „aus allen Milieus“ kommen. „Thema sind Jugendliche der ‚Generation Porno’, die Vögeln, um wahrgenommen zu werden“, für die Sex ein Weg sei, „um Selbstwertgefühl aufzubauen.“

Die Botschaften jedenfalls, um wieder zur neuen Filmfest-Geschäftsführerin Diane Iljine zurück zu kehren, gehen in München nicht aus. Ein nicht nur wegen der Vollendung der dritten Dekade rundes Jubiläum.

Denis Demmerle

Die 2012er Preisträger im Überblick:

1 2 3